17. Okt. 2022

«Es ist wichtig, dass Zahnmedizin und Zahntechnik sich gemeinsam weiterbilden»

AID

AID steht für Alliance for Implant Dentistry. Die AID ist eine unabhängige Stiftung, welche es sich zum Ziel gesetzt hat, Wissen weiterzugeben. Unsere Redaktorin ZT Marion Gredig ist neu im Stiftungsrat der AID. Sie hatte am AID-Symposium in Grenchen die Gelegenheit mit den Stiftungsgründern Dr. Claude Andreoni und Dr. Ueli Grunder ein Doppel-Interview zu führen.

Herr  Grunder, die AID verfolgt keine kommerziellen oder gewinnorientierten Ziele, sondern will Wissen generationenübergreifend transferieren. Wann und wie ist die Idee dafür entstanden? Was steckt hinter diesem gemeinnützigen Engagement?
Ueli Grunder: Die Idee fusst auf der Tatsache, dass wir immer wieder von jungen Kollegen hören, dass es heute sehr schwierig ist, Routine und Erfahrung in der Implantologie zu erlangen. Früher wurde die Implantologie von wenigen Klinikern intensiv betrieben, viele Fälle wurden an diese überwiesen und entsprechend konnte ein grosser Wissensschatz aufgebaut werden. Heute setzen sehr viele Kliniker Implantate, aber leider nur in geringem Masse. Es wird für junge Zahnärzte immer schwieriger, sich das notwendige Können anzueignen. Natürlich kann man Routine nicht dank Veranstaltungen, wie sie durch die AID organisiert werden, erlangen, aber ein wichtiger Wissenstransfer kann erreicht werden.

Es geht also darum, dass die jüngere Generation von der Erfahrung und dem Fachwissen von Koryphäen wie Ihnen profitiert. Heisst das denn, reisserisch gefragt, die jungen Zahnärzte sind zu wenig gut ausgebildet?
Claude Andreoni: Das Fach Implantologie wird im Studium der Zahnmedizin nur sehr rudimentär unterrichtet. Deshalb ist die postgraduale Fort- und Weiterbildung äusserst wichtig und muss qualitativ hochstehend sein. Die AID hat sich den Wissenstransfer von «alt zu jung» auf ihre Fahne geschrieben und bietet so jungen Zahnärzten die Möglichkeit, in diskussionsintensiven Veranstaltungen ihr implantologisches Wissen zu vergrössern.

Neu ist auch die Zahntechnik in der AID eingebunden. Da es in der Schweiz keine Meisterschule mehr gibt, ist das Bedürfnis nach hochstehender Fortbildung sicher gross. Impliziert das Einbinden der ZahntechnikerInnen ein vermehrtes Teamwork zwischen TechnikerIn/BehandlerIn bei den Coaching- und Mentorenprogrammen?
Claude Andreoni: Es ist immens wichtig, dass Zahnmedizin und Zahntechnik gemeinsam Fort- und Weiterbildungsprogramme bestreiten. Beide Disziplinen sind eng miteinander verknüpft. Das bessere Verständnis für die Probleme des anderen und das gemeinsame Suchen nach Lösungen trägt sicherlich zum guten Gelingen einer zahnmedizinischen Therapie bei. Wir werden deshalb nächstes Jahr versuchen, in jeder Mentorengruppe mindestens einen Zahntechniker zu integrieren.

Das Bedürfnis, der Durst nach Fachwissen scheint definitiv da zu sein. Der Saal heute am AID-Symposium ist voll. Am Vormittag stehen Workshops auf dem Programm. Die TeilnehmerInnen werden in Gruppen unterteilt und rotieren zu den verschiedenen Referenten-Teams. Ein neues Konzept?
Ueli Grunder: Als AID suchen wir Formate der Fortbildung, bei denen ein Austausch zwischen allen Beteiligten möglich ist. Meist lernt man während Diskussionen mehr als während den Vorträgen – wenn man eine offene Diskussionskultur hat. Es ist wichtig, dass auch durchwegs kontroverse Meinungen ausgetauscht werden können. Wir arbeiten daran, dass sich die jüngere Generation traut mitzudiskutieren – es ist nie falsch seine Meinung zu äussern.

Am Workshop von Dr. Kony Meyenberg und ZT Nicola Pietrobon zum Thema «Präzision in der Implantatprothetik» wurde gezeigt, wie eine grosse Zirkon-Implantat-Arbeit richtig auf die Abutments verklebt wird. TeilnehmerInnen wurden aufgefordert dies selbst zu probieren. Also nicht nur interaktive, sondern ganz aktive Fortbildung. Wie kommt dieses neue Element an?
Ueli Grunder: Solche Hands-on Workshops sind sehr wertvoll. Zahnärzte und Zahntechniker sind trotz Digitalisierung Handwerker. Wenn man etwas, was in der Theorie abgehandelt wurde, selbst mit den Händen machen kann, ergibt sich ein besseres Verständnis und ein besserer Lerneffekt.


Dr. Ueli Grunder liegt das Weichgewebe am Herzen, in seinem Workshop drehte sich deshalb auch alles darum.
Fotos: Marion Gredig

Herr Andreoni, in Ihrem Workshop ging es um die Periimplantitis. Normalerweise sieht man ja an Vorträgen immer, wie toll alles läuft. Sie haben aber die Grösse auch Misserfolge zu zeigen. Weil man aus Fehlern mehr lernt?
Claude Andreoni: Ja, genau. Man darf die eigenen Misserfolge nicht unter den Teppich kehren, sondern man sollte diese genauso akribisch dokumentieren wie die schönen Fälle. Erstens lernt man selbst beim Betrachten der Bilder sehr viel. Man kann dadurch bei anderen Patienten diese Fehler vermeiden. Zweitens können Kollegen von unseren Fehlern profitieren, d. h. sie werden die Planungen und Therapien bei ihren Patienten noch sorgfältiger und patientengerechter durchführen, damit sich keine Misserfolge einstellen.

Da gab es auch den praktischen Rat von Ihnen, dass man mit Patienten nicht streitet. Die Teilnehmer profitieren also vom gesamten Erfahrungsschatz, den Sie sammeln konnten. Für diejenigen, die nicht am Symposium dabei waren: Wie beantworten Sie die Frage ihres Workshop-Themas: «Ist Periimplantitis therapierbar?».
Claude Andreoni: Periimplantitis ist heutzutage bei bestimmten Knochenabbauformen teilweise therapierbar. Die Rezidiv-Gefahr ist jedoch sehr hoch. Oftmals ist die Explantation immer noch die beste Periimplantitis-Behandlung. Wir brauchen weitere klinische Studien, die uns einen klareren Weg bei der Therapie aufzeigen können.

Bei Ihnen Herr Grunder ging es um Weichgewebeaufbauten. In der Implantologie ist häufig der Knochen das grosse Thema. Weshalb liegt Ihnen das Weichgewebe am Herzen?
Ueli Grunder: Wer unser Konzept kennt, weiss, dass Knochenaufbauten sehr wichtig sind und es in den meisten Fällen auch immer bleiben wird. Im Rahmen dieses Workshops wurde bewusst nur über Weichgewebeaufbauten gesprochen, um in der kurzen Zeit, die zur Verfügung stand, nicht ein zu grosses Thema abzuhandeln. Wir wissen heute auch aus klinischer Erfahrung sowie wissenschaftlicher Sicht, dass für den Langzeiterfolg eine gewisse Dicke des Weichgewebes wichtig ist. Sowohl für den Erhalt des Knochenniveaus als auch für das optimale ästhetische Resultat.

Sie gaben lehrreiche Tipps von der Schnittführung über die Gestaltung der Naht bis zur Materialwahl für den Weichgewebeaufbau mit autologem Bindegewebe. Eine geballte Ladung Know-how, welche jüngeren Oralchirurgen sicher den Alltag erleichtert. Nach den Workshops ging es am Nachmittag weiter mit Vorträgen. Auch hier gestaltet sich das Fortbildungsprogramm einzigartig. Es wird keinen Monologen gelauscht, sondern die Referenten und Referentinnen stellten Fälle vor, welche unter der Moderation von Dr. med. dent. Goran Benic mit dem Publikum rege diskutiert wurden. Dr. med. dent. Nicolas Villard zeigte einen komplexen Frontzahn-Implantatfall, bei dem so viel falsch lief, dass er sogar zwinkernd meinte, man könne auch zwischendurch die Augen zu machen, wenn man es nicht ertrage. Die finale Rekonstruktion war dann wunderschön. Trotzdem, da braucht es Mut so offen zu sein! Finden Sie nicht?
Claude Andreoni: Es ist halt wie im wahren Leben: Nur die Bereitschaft offen und wahrheitsgetreu zu kommunizieren bringt uns ans ersehnte Ziel!

«Ist Periimplantitis therapierbar» lautete das Workshop-Thema von Dr. Claude Andreoni.

Referentin Dr. med. dent. Vanessa Gisler zeigte die Implantat-Alternative Klebebrücke und teilte Langzeit-Erfahrungen für einen erfolgreichen minimal-invasiven Weg. Viele Fragen kamen aus dem Publikum zum Thema Design, Verbinder und Auflage der Klebebrücke. Gisler zeigte auf, wie eine Maryland-Konstruktion funktioniert und weshalb es keinen Sinn macht, die Auflage über mehrere Zähne zu konstruieren. Auch das Thema von Dr. med. dent. Philipp Grohmann, der Gingiva-Former führte zu einer hitzigen Debatte. Man merkt, in der Zahnmedizin sind die Methoden je nach Lehrmeinung und Universität unterschiedlich. Dieser aktive Dialog scheint extrem gut anzukommen?
Ueli Grunder: Und Sie Frau Gredig haben aus Bescheidenheit nicht erwähnt, dass wir im Rahmen Ihres Vortrages lernen konnten, wie mit einer Technik (Veneers auf Platinfolie) die vor über 50 Jahre entwickelt wurde und auch heute noch als Königsdisziplin gewertet wird, in gewissen Fällen das beste Resultat erzielen können, da nur damit ein so ultradünnes Veneer hergestellt werden kann, dass eventuell gar nichts präpariert werden muss. Alle Nachmittagspräsentationen erlaubten eine hochstehende Diskussion zu klinisch relevanten Themen – da kann man den jüngeren Referenten nur gratulieren – das ist AID in Reinkultur.

Das nehme ich, zusammen mit den anderen Referenten, natürlich dankend an. Der «Wissenstransfer am klinischen Fall», welcher das Motto der Jahrestagung ist, hat funktioniert. Wie sieht die Zukunft der AID Stiftung aus? Was ist geplant?
Ueli Grunder: Die AID ist noch jung aber voller Ideen. Wir haben nun das zweite Symposium erfolgreich durchgeführt, ein solches wird jährlich organisiert. Weiter haben wir sogenannte Mentorengruppen, hier werden in Gruppen von maximal 13 Teilnehmern zusammen mit zwei Mentoren klinisch relevante Probleme diskutiert. Teilnehmen kann jedes AID-Mitglied – man muss aber zwingend selbst auch etwas dazu beitragen. Demnächst startet ein Coaching-Programm. Ganz neu ist auch das Programm Next Generation, wo junge Leute selbst entscheiden können, welche Fortbildungen ihnen am meisten nutzen und dies ohne kommerziellen Druck organisieren dürfen.

Vielen lieben Dank fürs Interview Dr. Claude Andreoni und Dr. Ueli Grunder. Und dass Sie, mit und in der AID-Stiftung, das immense Wissen so grosszügig teilen. Denn, um diesen Beitrag mit einem Balzac Zitat zu beenden: «Die eigentliche Kunst liegt viel weniger in der Kenntnis der Grundsätze als in der Art ihrer Anwendung».

www.aid-foundation.org