17. Aug. 2020

Herzlichen Glückwunsch – 80 Jahre Willi Geller

ZVg

Einen Termin mit Willi Geller abzumachen, ist nicht ganz einfach. Da führt kein Weg an seiner Mitarbeiterin Birgit Spitznagel vorbei. Freundlich aber bestimmt werden die E-Mail-Anfragen für ein Interview abgeblockt. Birgit hält Willi Geller den Rücken frei und das seit über 20 Jahren. Erst nach vielem Insistieren, dass ich Herrn Geller doch von früher kenne und mit Hilfe des gemeinsamen Freundes Bertrand Thiévent wird dem Interviewtermin doch noch zugestimmt. Dieser fällt nun dafür umso herzlicher aus.

Willi Geller lädt an einem sommerlichen Nachmittag zu sich sein, an die Weinbergstrasse in Zürich. In der wunderschönen, herrschaftlichen Jugendstilvilla ist auch sein Oral Design Labor. Hier ist eindeutig die Bezeichnung «Atelier» treffender. Hohe Räume, warmes Licht, das durch die grossen Fenster fällt, überall stehen Töpfchen, Brennöfen und Pinsel wild durcheinander. Hier lebt der für viele berühmteste und einflussreichste Zahntechniker der Welt seine Kreativität aus.

Im lauschigen Garten treffen wir uns also auf Kaffee, Amaretti, Käse und Wein. Willi Geller hat noch Freunde eingeladen: Zahntechnikerkollege Bertrand Thiévent und Zahnarzt Dr. Steffen Ulbrich – und Birgit Spitznagel ist natürlich auch dabei. Auf Herrn Geller warten wir noch einen Moment, er muss noch einen Abdruck ausgiessen, ruft er uns aus der Gipsküche zu. Ich muss schmunzeln und denke, auch mit bald 80 Jahren ist Willi Geller immer noch Vollblut-Zahntechniker. Und das Keramiker-Ausnahmetalent macht seine Gipsmodelle selber? «Ja fleissig war ich schon immer. Und ich habe Geduld und Ausdauer, das ist in der Zahntechnik wichtig. Und von Vorteil ist auch, wenn man nicht zehn Daumen hat», sagt er zwinkernd.


Im lauschigen Garten in der Weinbergstrasse in Zürich lässt es sich gut in Erinnungen schwelgen.
 

In der Branche bewundert man Willi Gellers Kreativität. Und fürchtet seinen aufrichtigen aber unbarmherzigen Kommentar. Diesen lernten auch die beiden Herren am Gartentisch bei der ersten Begegnung kennen. Thiévent erzählt, wie er als Jungtechniker die Gelegenheit erhielt, Herrn Geller Dias von seinen Arbeiten zu zeigen. Dieser hatte aber nur die Nase gerümpft und ihn mit ein paar konstruktiven Ratschlägen heimgeschickt. Auch Zahnarzt Ulbrich lernte Willi Geller auf die harte Tour kennen. «Ich zeigte ihm eine schöne, grosse Arbeit. Herr Geller fragte: »Was sind das für Eier?» Aber weder Ulbrich noch Thiévent liessen sich durch das vernichtende Urteil demotivieren. Im Gegenteil. Es spornte sie an. Ulbrich, indem er keine Eier sondern Zähne von Willi Geller in den Mündern seiner Patienten sehen wollte und Thiévent, indem er die Motivation hatte, so gut wie Geller zu werden, oder zumindest in die Nähe dieses Könnens zu kommen.

Das Ausnahmetalent

Dieses Talent, diese Gabe für die Zähne, die war bei Willi Geller schon von Beginn an da. Mit fünf Geschwistern aufgewachsen, erkannte er nach einer Siebdruck-Lehre, dass er mit diesem Beruf seinen Drang nach Kreativität nicht ausleben konnte. Durch Zufall, oder besser gesagt seinen Bruder, der eine zahntechnische Lehre machte und dort unglücklich war, kam Willi Geller auf die Zahntechnik, und erlernte sozusagen anstelle des Bruders diesen Beruf. Das war Liebe auf den ersten Blick erklärt er uns. «man muss für die Zahntechnik geboren sein. Und etwas Reife ist sicher nicht schlecht. Gerade die, die später dazu kommen, wollen es wirklich.»
Willi Geller ist seit 60 Jahren mit einer Zahntechnikerin verheiratet, hat einen Sohn und drei Enkeltöchter – auf die Familie konnte er immer zählen.

 

Hier fühlt sich Willi Geller besonders wohl – in seinem Atelier inmitten zahlreicher Töpfchen und Wachsmesser.

Die erste Geller-Krone

Ich frage ihn, wann er denn erkannt habe, dass er talentiert ist? «An der Lehrabschlussprüfung mussten wir einen Zahn aus Wachs modellieren. Ich war als Erster lange Zeit vor allen anderen fertig und wollte meine Arbeit dem Prüfungsexperten zeigen. Dieser hat mich zuerst wieder an den Arbeitsplatz zurückgeschickt mit der Begründung, dass das nicht gut sein könne, in so kurzer Zeit. Ich konnte ihn überreden einen Blick darauf zu werfen. Und von da an war klar, dass ich eine Begabung habe.»

Diese Begabung wurde schnell überall erkannt und am Arbeitsplatz gefördert, «ich hatte das grosse Glück, immer gute Chefs zu haben», und bald auch von der Industrie erkannt. Die Vita Zahnfabrik wurde auf den jungen Techniker, der von Österreich in die Schweiz gekommen war, aufmerksam und startete eine Werbekampagne. Das war die Zeit der Jacketkronen und Vita 68. Die ersten Verblendkeramik-Versuche wurden gestartet. Geller verlötete Arbeiten mit offener Flamme. Die Idee dahinter war, alle Kronen einzeln fertigzustellen und mit einer Lötung zu verbinden. Das war so um 1965, eine Zeit voller Sprünge und Risse in der Keramik. Willi Geller fand das bestehende Angebot an Keramikmassen frustrierend und meinte, das müsse besser gehen und vor allem besser aussehen. Nicht so opak und weiss. Geller wollte keine Kronen, sondern Zähne machen.

Entstehung von Création

Damit weckte er das Interesse der Industrie. «Die Firma Ivoclar kam auf mich zu und wollte mit mir eine Keramik kreieren. Schlussendlich kam es aber nicht zur Kollaboration. Ich entschied, zusammen mit einem Jugendfreund, der gut in Chemie war, und einem weiteren Partner, etwas Eigenes zu erfinden. Wir nannten es die Vorarlberger Sache.» Als Basis dienten die Ivoclar-Massen. Geller investierte ersparte 100 000 Franken. Dann begann der Herstellungsprozess. Es wurde kiloweise Feldspat gemahlen, in einer Garage. Filmreif. Die Keramik wurde getestet und wieder gemahlen. Und tatsächlich, irgendwann stimmte alles. Création war geboren!

«So machte ich mich in den 80er Jahren eigenhändig mit dem ersten Création Testkoffer auf den Weg nach Italien. Zu Dentalhändler Violi in Modena. Dieser war gleich total begeistert vom Material und übernahm den Vertrieb von Création» erklärt uns Willi Geller den Beginn seiner unternehmerischen Laufbahn. Zahntechniker Pepe Zupardi war dann der erste, der Willi Geller fragte, ob er sich auch «Oraldesign» nennen darf. So entstand eine Idee für eine Verbindung, die mittlerweile 120 Labors auf der ganzen Welt umfasst, die «Oral Design members». Der Gedanke dahinter, Wissen zu teilen und ästhetischen Zahnersatz auf höchstem Niveau herzustellen. Eine Art Ritterschlag.

 

Dr. Steffen Ulbrich, Willi Geller, Birgit Spitznagel und Bertrand Thiévent tauschen im Garten der Jugendstilvilla in Zürich Erinnerungen aus.

Geller der Selfmade-Man

Geller ist also nicht nur ein begnadeter Keramiker sondern auch ein erfolgreicher Unternehmer. Hätte er je gedacht, dass man ihn und seine Keramik mal überall auf der Welt kennt, will ich wissen? «Nein, wirklich nicht. Mich hat der Zufall irgendwo abgesetzt. Und dort habe ich einfach das getan, was ich für richtig hielt.» Und wenn einem das so gut gelingt wie ihm, dann darf das auch etwas kosten. Es ist allgemein bekannt, dass Geller der Teuerste ist.

«Ich habe nie nach dem Geld gefragt», meint er achselzuckend. Thiévent schmunzelt und sagt. «Willi Geller war immer schon der teuerste von uns, aber das war gar nicht schlecht. So konnten wir faire Preise verlangen und dem Patienten immer noch sagen, wissen Sie, bei Willi Geller wäre das alles doppelt so teuer.» Geller war immer der Vorreiter.

Farbwahl und Einprobe

Auch dank ihm kamen die Patienten 1984 erstmals ins Labor zur Farbwahl und Einprobe. Früher war das so, dass der Zahnarzt am liebsten wollte, dass möglichst kein Kontakt zwischen Patient und Labor besteht, erinnert sich Zahnarzt Ulbrich. Geller hatte aber die Notwendigkeit, den Patienten selber zu sehen, um eine perfekte Rekonstruktion herstellen zu können, früh erkannt und sich dafür eingesetzt. Das war zu Beginn nicht ganz einfach, da er mit diesem Anliegen beim damaligen Professor der Universität Zürich, Prof. Dr. Peter Schärer, anfänglich auf taube Ohren stiess. Schlussendlich war es ein entweder oder. Geller sagte ohne Einprobe könne er nicht mehr für die Uni arbeiten. Darauf folgte ein Streit. Dann aber die Versöhnung, indem Prof. Schärer den Einproben im Labor zustimmte. Und Willi
Geller als Ehrenmitglied in die EAED, die European Academy of Esthetic Dentistry, aufnahm.

Karl Lagerfeld der Zahntechnik

Willi Geller, das war immer einer, der bewusst aneckte und provozierte. Da waren die Fotos von leichtbekleideten Frauen an Vorträgen, die er heute so nicht mehr zeigen würde, wie er zugibt. Oder es ging das Gerücht um, er habe einmal eine ganze Arbeit, mit der eine Patientin nicht zu 100 % zufrieden war, in der Zahnarztpraxis auf den Boden geschmissen und verstampft. Ist das wahr? Geller lacht auf und sagt: «Ich kann mich nicht daran erinnern.» Thiévent fügt hinzu «Herr Geller sagt immer, was er denkt. Auch wenn man das vielleicht nicht gerne hört. Aber dadurch entsteht eine Bewegung, ein Denkanstoss.»

Dies beschwert Willi Geller auch heute noch einen enormen Respekt in der Branche. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir im Labor meines Vaters, einen gemeinsamen Zahnarzt-Kunden mit Willi Geller hatten. Die Ehefrau dieses Zahnarztes hat sich den 1er bei Willi Geller machen lassen. Und ein paar Jahre später den 2er bei uns. Mein Vater übertrug mir diesen Auftrag und sagte: «Weisst Du, das ist eine grosse Ehre, einen Zahn neben dem von Willi Geller zu machen.»

Visionen und Gedanken

Die Zahntechnik hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Willi Geller schaut der Entwicklung interessiert aber mit gemischten Gefühlen entgegen. «Nur digital wird es nicht funktionieren. Das analoge Wissen darf nicht verloren gehen. Ich bin sicher, es braucht unseren Beruf auch in Zukunft noch.»

Das Positivste an ihm selber? «Ich habe oft gehört dass ich eine Inspiration für andere bin. Dass ich so wahrgenommen werde ist sicher das Schönste. Einmal kam ein junger Mann auf mich zu und fragte, ob ich Willi Geller sei? Ob er mir die Hand schütteln dürfte, das wäre ihm eine grosse Ehre. Das hat mich richtig gerührt» sagt Willi Geller.

Und was finden Sie an sich selber nicht so gut? «Manchmal bin ich trivial eifersüchtig auf alles und nichts. Man muss selbstkritisch sein. Aber manchmal sollte man sich selber auch beschönigen, dass musste ich mir zugestehen».

 
Marion Zihler Gredig verfolgt begeistert die Erzählungen von Willi Geller.
 

Herzinfarkt mit 40

Die Erfolgsgeschichte Willi Geller hat wie jeder Film auch seine Tiefpunkte. Workaholic Geller erlitt diesen kurz nach seinem 40. Geburtstag. Am Gardasee merkt er im Hotelzimmer, dass etwas mit seiner Gesundheit nicht stimmt. Er denkt an Angina Pectoris. Aber der Schmerz im Brustkorb verschwindet nicht. Geller muss per Helikopter ins Spital geflogen werden, Herzinfarkt. Danach macht er weiter, wie wenn nichts gewesen wäre.

20 Jahre später, in der Zeit als er die Creapearls Prothesenzähne entwarf und entwickelte, war er der Erschöpfung nahe:» Ich will nie mehr etwas mit Zähnen zu tun haben!»

Abschied vom alten Zopf

Rückblickend sagt er «Das war eine Zeit des Überdrusses. Zu viel Stress, zu viel Essen, zu viele Zigarren, so konnte ich nicht weitermachen. Ich musste die Notbremse ziehen.» Er fährt in den Ferien mit seiner Frau nach Sylt. Steigt aufs Velo, radelt zum Coiffeur. Und trennt sich von seiner berühmten Lockenmähne. Kommt mit rasiertem Haupt zurück. Seiner Frau gefällt der kahle Schädel gar nicht. Sie weint den Locken nach. Für Will Geller war es aber eine Art Befreiung vom alten Leben, von alten Zöpfen.

Traditionen und Lebensqualität

Gewisse Traditionen hat er aber immer beibehalten. Seine Selbständigkeit begann mit vier Laborplätzen, wobei Platz 4 immer ein Gastplatz geblieben ist – bis heute. Die internationalen Gäste aus Europa, Asien und Südamerika haben die Fortbildung genossen und für einen regen Kulturaustauch gesorgt. Zu Willi Gellers Verständnis von Lebensqualität gehört bei allem Druck und Hektik auch das tägliche gemeinsame Zubereiten einer Mahlzeit am Mittag. Selbst koreanische Techniker haben so an der Weinbergstrasse gelernt, wie man Pasta al dente kocht.

Und das Segeln ist seit Kindsjahren ein fester Bestandteil im Leben von Willi Geller. Er hat ein prächtiges Oldtimer-Segelschiff auf dem Bodensee. Diese Kategorie hatte um 1920 am America‘s Cup teilgenommen, erzählt er stolz. Wie es heisst, frage ich: «Il mito, so haben mich die Italiener immer genannt»

Dieser Mythos hat abgenommen, aber nur an Gewicht, nicht an Klasse und Einfluss. Geller sieht wesentlich gesünder aus als vor Jahren, nimmt Ginseng. Das Rauchen, die berüchtigte, dicke Zigarre im Mund, hat er vor vier Jahren gänzlich aufgegeben. «Irgendwann hat man die Erkenntnis, dass einfach Schluss ist.»

In seinem Atelier steht auf jedem Tisch eine grosse Arbeit. Mich freut es sehr zu sehen, dass hier beruflich noch lange nicht Schluss ist. Geller ist jetzt 80. Mehr als 60 Jahre davon verbrachte er hauptsächlich mit der Zahntechnik. Und sagt heute:

«Ich mag die Menschen einfach. Ich hatte immer Freude am Beruf.»
Willi Geller