22. Nov. 2020

Hör mal, wer da spricht: Ein Rollenspiel

ZZS

Wenn Sie sich mit Ihrer Patientin unterhalten, sind Sie vermutlich überzeugt, dass es sich dabei nur um eine Einzelperson handelt. Und doch möchte ich das in Frage stellen und behaupte provokativ das Gegenteil: Sie sprechen stets vor einem ganzen Verein.

Auch wenn Sie mit mir reden, reden Sie immer mit einem ganzen Verein, der in mir wohnt. Wie das kommt? Je nachdem, ob Sie mich in meiner Rolle als Business-Coach ansprechen oder in meiner Rolle als Ehefrau, Freundin, Mutter oder als Barbara ganz persönlich, dann werde ich womöglich auf denselben Kontext unterschiedlich reagieren. Ich habe gelernt zu unterscheiden, ob ich aus meiner beruflichen Rolle heraus reagiere oder aus der Rolle als Privatperson.
Folgendes Beispiel dazu: Eine Mitarbeiterumfrage in einer Praxis hat ergeben, dass ein erheblicher Teil der Mitarbeiterunzufriedenheit auf die Praxisführung zurückzuführen war. Ich wurde zum Führungs-Meeting eingeladen, um die Handlungsfelder zu besprechen. Bei dieser Gelegenheit habe ich der betroffenen Geschäftsleitung die sehr ernüchternden Resultate präsentiert.

Konstruktives Vorgehen
Als ich mit den Details weiterfahren wollte, hat die Chefin, nennen wir sie Carla, interveniert: Carla dankte für die Rückmeldung, sie sei jedoch nicht bereit, alle weiteren negativen Ausführungen anzuhören. Das wolle sie sich nicht antun, sie müsse sich selbst schützen und abgrenzen. Was nun?
Ich wertschätzte ihre Selbsterkenntnis und warf die Frage auf, wie wir nun mit diesem Vorbehalt am besten konstruktiv weiterfahren könnten. Denn ohne die Details konnten die Ursachen der Unzufriedenheit schlecht behoben werden. Carla war blockiert, der Prozess auch.

Führungsrolle ernstnehmen
Ich hielt fest, dass es grundsätzlich Führungsaufgabe sei, sich um Konflikte zu kümmern. Dies könne nur geschehen, wenn die Ausgangslage verstanden werde. Ich dankte Carla für ihre gute Absicht, sich zu schützen und erinnerte sie an ihre Führungsverantwortung. Und dabei erinnerte ich mich an den Verein, der in jedem von uns steckt.
Ich fragte sie provokativ, wer vorhin die detaillierten Resultate nicht hören wollte: Ob das «Carla die Führungskraft» war oder «Carla das Ego»? Wer von beiden hat abweisend reagiert und mir geantwortet? Wer von beiden möchte sich schützen?
Nach einer kurzen Denkpause konnte Carla gut unterscheiden: Es wurde ihr klar, dass hier ihr Ego durchgebrochen ist, und sie konnte sich wieder zurück in ihre Führungsrolle begeben und in ihrer beruflichen Rolle die Verantwortung übernehmen.

Schweigeverbot für das Ego
Sie war bereit, sich die schmerzlichen Details anzuhören, während ihr Ego Schweigeverbot bekam, denn es war jetzt nur ihre Führungsrolle angesprochen. So konnte sie die Fakten besser annehmen und sich danach auf einen konstruktiven Teamprozess einlassen.
Der Kommunikationsexperte Prof. Dr. Friedemann Schulz-von-Thun hat sich ausgiebig mit dem Mechanismus des «Inneren Teams» befasst. Er stellt fest, dass wir es in der Kommunikation und Führung nicht nur mit dem Team aus Mitarbeitenden zu tun haben, sondern dass wir immer auch mit unserem inneren Team, den verschiedenen Stimmen und Anteilen in uns, konfrontiert werden.
So ist es unsere Aufgabe, die Selbstführung des «inneren Vereins» stets zu integrieren, um nach Aussen hin klar und situationsgerecht aus unserer gemeinten Rolle reagieren zu können. Willkommen im Club der «vereinten» Rollenanteile und hören Sie sich gut zu, wer gerade aus Ihnen spricht!

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