21. Juni 2021

Neue Medizinprodukteregulierung – und jetzt?

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ZZS: Was ist geschehen?
Christoph Willi: Aufgrund der bilateralen Verträge genoss die Schweiz einen gleichberechtigten Zugang zum europäischen Binnenmarkt für Medizinprodukte. Ermöglicht wurde dies durch das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreement, MRA). Dadurch konnte die Schweiz in Kooperation mit den EU-Mitgliedsstaaten eine effektive und effiziente Überwachung der Medizinprodukte sicherstellen und technische Handelshemmnisse zwischen der EU und der Schweiz vermeiden. Die Versorgung mit europäischen Medizinprodukten kam auch dem Schweizer Gesundheitswesen zu Gute.
Matthias Stauffacher: Seit dem 26. Mai 2021 gilt in der EU die neue Regulierung für Medizinprodukte. Um sich den privilegierten Zugang zu erhalten, hat die Schweiz ihr Medizinprodukterecht an die neuen EU-Verordnungen (Medical Device Regulation, EU-MDR und In-vitro Diagnostika Regulation, EU-IVDR) angeglichen und zeitgleich mit dieser in Kraft gesetzt. Das revidierte Schweizer Medizinprodukterecht orientiert sich an den neuen EU-Verordnungen und will für Medizinprodukte, einschliesslich In-vitro Diagnostika, den gleichen Stand von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit gewährleisten wie im EU-Binnenmarkt.
Christoph Willi: Um die sich daraus zwischen der EU und der Schweiz ergebenden Verpflichtungen staatsvertraglich abzusichern, hätte das im Jahr 1999 abgeschlossene MRA auf dem Verhandlungsweg aktualisiert werden müssen. Bereits im Vorfeld des sich abzeichnenden Scheiterns der Verhandlungen über das Rahmenabkommen hat die EU-Kommission erklärt, ohne substanzielle Zugeständnisse der Schweiz das MRA nicht aktualisieren zu wollen. Die von der EU nun ausgesprochene Weigerung hat zur Folge, dass die Schweiz ab dem 26. Mai 2021 als Drittstaat gilt und vom europäischen Binnenmarkt für Medizinprodukte ausgeschlossen ist.

ZZS: Was sind die Folgen der fehlenden MRA-Aktualisierung?
Matthias Stauffacher: Das MRA verschaffte dem Schweizer Gesundheitswesen einen privilegierten Zugang zum europäischen Binnenmarkt für Medizinprodukte. Aufgrund der ausgebliebenen Aktualisierung des MRA werden Hersteller, Importeure und Händler nun aber zusätzliche Pflichten zu erfüllen haben. Dazu gehören Melde- und Registrierungspflichten, die Pflicht des Herstellers zur Benennung eines Schweizer Bevollmächtigten und die Angabe des schweizerischen Importeurs auf dem Produkt, der Verpackung oder einem dem Produkt beiliegenden Dokument.
Christoph Willi: Diese zusätzlichen Pflichten verursachen unnötigen bürokratischen Aufwand, der den Patientinnen und Patienten keine zusätzliche Sicherheit bringt, letztlich aber bezahlt werden muss. Aufgrund der damit verbundenen Verteuerung befürchten Branchenkenner, dass ausländische Hersteller darauf verzichten könnten, ihre Produkte in der Schweiz erhältlich zu machen.
Matthias Stauffacher: In einem offenen Brief an den Bundesrat spricht die Branchenorganisation Swiss Medtech davon, dass jedes achte der heute in der Schweiz verwendeten Medizinprodukte davon betroffen ist. Dies gilt auch für die in der Zahnarztpraxis oder dem Dentallabor benötigten Medizinprodukte, angefangen von Verbrauchsmaterial wie Kanülen über Saugmaschinen bis hin zu Implantaten.

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Rechtsanwalt Dr. Christoph Willi LL.M.: «Die Schweiz gilt seit dem 26. Mai als Drittstaat und ist vom europäischen Binnenmarkt ausgeschlossen.»

ZZS: Was sind die Auswirkungen für die Sicherheit von Medizinprodukten?
Christoph Willi: Eine weitere Folge vom Ausschluss vom europäischen Binnenmarkt für Medizinprodukte ist, dass die Schweiz keinen Zugang zur zentralen europäischen Datenbank für Medizinprodukte (Eudamed) erhält. Dabei handelt es sich um eine wichtige Neuerung der neuen Medizinprodukteregulierung, welche es den Behörden erlaubt, sicherheitsrelevante Informationen über Medizinprodukte abzurufen, um rasch auf Vorfälle zu reagieren und Massnahmen zum Schutz der Patientinnen und Patienten anordnen zu können. Der verweigerte Zugang erschwert der Schweiz eine geordnete Versorgung mit sicheren Medizinprodukten zu gewährleisten.

ZZS: Was hat der Bundesrat getan, um Engpässe in der Versorgung mit Medizinprodukten zu vermeiden?
Matthias Stauffacher: Wenige Tage vor dem Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen hat der Bundesrat punktuelle Änderungen an der Medizinprodukteverordnung vorgenommen, um die negativen Auswirkungen auf die Versorgung mit sicheren Medizinprodukten zu reduzieren. Die mit dem Verlust der Zusammenarbeit mit der EU einhergehenden Auswirkungen auf die Sicherheit und Qualität von Medizinprodukten wird dadurch aber nicht gelöst, zumal die Pflicht zur Meldung von unerwünschten Vorkommnissen auf Vorfälle in der Schweiz beschränkt ist. Dies ist aber nicht ausreichend, um die Versorgung mit sicheren Medizinprodukten zu gewährleisten.

ZZS: Warum braucht es einen in der Schweiz niedergelassenen Bevollmächtigten?
Christoph Willi: Der Bevollmächtigte ist der Stellvertreter des Herstellers und Ansprechperson für die Schweizer Behörden. Diese Funktion ist umso wichtiger, als Swissmedic keinen Zugang zur europäischen Datenbank für Medizinprodukte hat. Als Stellvertreter des Herstellers haftet der Bevollmächtigte solidarisch mit dem Hersteller für allfällige Produktemängel. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Schweizer Patientinnen und Patienten nicht gegen eine Briefkastenfirma im fernen Ausland klagen müssen, falls sie infolge eines Produktemangels zu Schaden gekommen sind. Ausländische Hersteller sind deshalb verpflichtet, einen im Inland niedergelassenen Bevollmächtigten zu benennen. Dabei kann es sich auch um den Importeur handeln.

ZZS: Ab wann gelten die aktuellen Änderungen?
Matthias Stauffacher: Durch zusätzliche, vom Bundesrat in letzter Minute erlassenen Übergangfristen sollen drohende Versorgungsengpässe vermieden werden. Dazu gehört der Aufschub für die Benennung eines Schweizer Bevollmächtigten. In Abhängigkeit von der Risikoklasse gilt dafür eine Übergangsfrist bis Ende Dezember 2021, März oder Juli 2022. Diese abgestuften Übergangsfristen sollen schweizerischen Händlern und Importeuren zusätzliche Zeit verschaffen, um Substitutionsprodukte zu suchen, falls ihre bisherigen Lieferanten die Versorgung des Schweizer Marktes einstellen sollten. Diese Zeit gilt es zu nutzen, nicht nur durch Schweizer Händler, sondern auch durch Zahnärzte und Zahnlaborbetreiber.
 

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Rechtsanwalt Matthias Stauffacher: «Durch zusätzliche Übergangsfristen sollen Versorgungsengpässe vermieden werden.»

ZZS: Ist der Direkteinkauf im EU-Ausland ein Ausweg?
Christoph Willi: Medizinprodukte eines ausländischen Herstellers dürfen in der Schweiz nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie mit der Anschrift des in der Schweiz niedergelassenen Importeurs gekennzeichnet sind. Händler sind verpflichtet, das Vorhandensein dieser Anschrift zu kontrollieren. Fehlt es an der Anschrift des Importeurs, dürfen sie das Produkt nicht verkaufen. Führt der Händler das Produkt aus einem EU-Land in die Schweiz ein, um dieses an Dritte zu verkaufen, so wird er selbst zum Importeur und muss die dem Importeur obliegenden Pflichten beachten. Dazu gehört, dass er sich bei Swissmedic registriert und das Produkt entsprechend kennzeichnet.

ZZS: Was geschieht mit Produkten, die vor dem 26. Mai 2021 in die Schweiz importiert wurden?
Matthias Stauffacher: Die MepV sieht eine Abverkaufsfrist vor. Diese erlaubt es, vor dem 26. Mai 2021 eingeführte Medizinprodukte an die Anwender weiterzuverkaufen oder durch die Anwender in Betrieb zu nehmen. Im Grundsatz beträgt die Abverkaufsfrist 4 Jahre (26. Mai 2025). Davon ausgenommen sind Produkte, die bisher in die Risikoklasse I gefallen sind und nach der neuen MepV höherklassifiziert werden müssen. Dies betrifft beispielsweise wiederverwendbare chirurgische Instrumente oder auf Software basierende Medizinprodukte. Für diese gilt eine kürzere Abverkaufsfrist von 3 Jahren (26. Mai 2024).

ZZS: Was geschieht mit Medizinprodukten, die in Praxis oder Labor bereits in Betrieb sind?
Christoph Willi: Vor dem 26. Mai 2021 gekaufte Medizinprodukte dürfen weiterbenutzt werden, sofern sie den bisher geltenden Anforderungen entsprechen. Die Zweckbestimmung der Medizinprodukte darf nicht geändert werden. Vorsicht ist bei Software-Updates geboten.

ZZS: Welche Pflichten müssen Händler beachten?
Matthias Stauffacher: Wer Medizinprodukte an Dritte verkauft, seien dies gewerbliche Anwender (Zahnärzte) oder private (Patienten) muss zumindest stichprobenweise prüfen, ob folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Ist das Konformitätskennzeichen auf dem Produkt angebracht?
  • Liegt die Konformitätserklärung vor?
  • Ist die Produktinformation vorhanden?
  • Ist die Anschrift des Importeurs vorhanden?
  • Hat der Hersteller einen eindeutigen Produktidentifikator (Unique Device Identification UDI) auf dem Produkt und dessen Verpackung angebracht?
  • Medizinprodukte, welche diese Voraussetzungen nicht erfüllen, darf er nicht verkaufen.

ZZS: Was ist nun zu tun?
Christoph Willi: Um frühzeitig Aufschluss über einen in der Praxis oder Labor drohenden Versorgungsengpass zu erhalten, empfehlen wir folgendes Vorgehen:

  1. Analyse der von in der Praxis oder im Labor benötigten Produkte.
  2. Hersteller kontaktieren und klären, ob und durch wen die Produkte in die Schweiz importiert werden und wer sein Bevollmächtigter in der Schweiz ist.
  3. Ersatzprodukte evaluieren, falls der ausländische Hersteller keine verbindliche Zusicherung abgibt, die Versorgung des Schweizer Marktes aufrecht erhalten zu wollen.

ZZS: Herzlichen Dank für dieses aufschlussreiche Interview!

Kontakt:
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Dr. Christoph Willi LL.M.
christoph.willi@streichenberg.ch

Matthias Stauffacher
matthias.stauffacher@streichenberg.ch