17. Dez. 2020

5. Schweizer Implantat Kongress im Livestream und On-Demand

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Carmen Bornfleth

Das hochklassige Programm mit dem brisanten Leitthema «Digitale Transformation in der Implantologie – Möglichkeiten und aktuelle Limitationen» wurde live aus dem Kursaal in Bern gestreamt. «On-Demand» sind die gesamten Inhalte noch bis Mitte Februar abrufbar.

Covid-19 hat einen nie geahnten Schub in Richtung Digitalisierung ausgelöst, weshalb auch das Kongressthema ganz gut zur aktuellen Situation passte. Die Begrüssung übernahmen Alec von Graffenried, der Stadtpräsident von Bern gemeinsam mit Prof Dr. em. Daniel Buser in seiner Funktion als Stiftungsratspräsident.
 

Prof. Dr. em. Daniel Buser und der Stadtpräsident Alec von Graffenried.

Die Implantat Stiftung Schweiz
Einleitend berichtete Buser über den Hintergrund zur Implantat Stiftung Schweiz. Diese wurde 2007 etabliert und steht unter der Trägerschaft von SGI, SSOS, SSP und SSRD. Als Industrie-Partner unterstützen die Firmen Straumann, Thommen, Geistlich und Karr Dental. «Ohne deren Engagement könnte die Stiftung nicht betrieben werden», so Buser. Als Universitäts-Partner sind Genf, Bern und Basel schon länger aktiv, die Zusammenarbeit mit der Universität Zürich gilt als einer der nächsten Ziele. Oberstes Ziel der Stiftung ist die objektive Aufklärung der Bevölkerung über die Möglichkeiten und Limiten der Implantologie. Seit 2008 findet alle drei Jahre der Schweizer Implantat Kongress in Bern statt.

Digitaler Tsunami
Als ersten Referenten begrüsste Prof. Buser Stefan Linder zum Eröffnungsreferat. Er sprach über den digitalen Tsunami und dessen Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Medizin.
Heutzutage geht der Konsum von Zeitungen und Fernsehen in der Bevölkerung zurück, das Internet mit digitalen Angeboten ist auf dem Vormarsch. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren abgezeichnet und scheint nicht aufzuhalten. Aktuell sind die stärksten Marken auf der Welt allesamt digitale Firmen, wie Amazon, Netflix, Apple, Microsoft und Facebook. Technische Veränderungen führen zur Verschmelzung von Grenzen – wird ein Smartphone zum Telefonieren oder eher zum Fotografieren genutzt? Ist ein Tesla ein Auto oder eher Software mit Rädern? Auch in der Medizin gibt es viele Veränderungen. 1950 dauerte es 50 Jahre, bis sich das Medizinwissen verdoppelte, heute reichen 1,6 Jahre.
Welchen Beitrag hat daran Covid-19? Der Flugverkehr ist eingebrochen, davon haben die genannten Online-Firmen profitiert. Auch der Marktwert von Zoom ist  innerhalb weniger Wochen in die Höhe geschossen. Laut Linder wird das nächste grosse Thema «Big Data in Kombination mit Artificial intelligence» sein.
Nach diesem fulminanten Vortrag blickte Prof. Buser positiv in die Zukunft. Er ist fest davon überzeugt, dass die Zukunft der Kongresse hybrid sein wird und On-Demand-Angebote eine gute Errungenschaft sind. Denn auch für internationale Kongressteilnahmen biete dies ein Riesenpotential – ohne Jetlag und hohe Kosten.
 


Dr. Alexis Ioannadis sprach über digitale Datenerfassung und Diagnostik und Therapieplanung.

Analoge Therapieplanung und die Datenerfassung
Fachlich ging es weiter mit dem Vortrag von Dr. Malin Strasding (Genf), die einen Überblick über die Prinzipien der analogen Implantatplanung gab. Auch wenn sich heute alles in Richtung digital entwickelt, ist sie davon überzeugt, dass auch in 10 Jahren noch hybrid gearbeitet wird, d.h. eine rationale Mischung aus analog und digital.
Nach der Kaffeepause beschäftigte sich Dr. Alexis Ioannidis (Zürich) mit der digitalen Datenerfassung für Diagnostik und Therapieplanung von Implantaten. Neben seiner eigenen Erfahrung an der Universität Zürich präsentierte er auch viel Evidenz. Erfahrungsgemäss präferieren Patienten die digitalen Möglichkeiten, obwohl sie postoperativ keinen Unterschied spüren. Egal ob digital oder analog – mit keiner der Alternativen ist eine 100 % Genauigkeit erzielbar. Dr. Ioannidis wagte auch einen Ausblick in die Zukunft und zeigte was heute schon möglich ist. Als nächsten Schritt erwartet er eine bessere Verknüpfung zwischen den virtuellen Möglichkeiten und den manuellen Abläufen mit dem Ziel immer weniger Komplikationen befürchten zu müssen.
 

Prof. Dr. Martin Schimmel beschäftigte sich mit abnehmbaren Versorgungen.

Digitalisierung und Planung
Prof. Dr. Martin Schimmel (Bern) sprach über die Digitalisierung und Planung im Bereich der abnehmbaren Versorgungen. Bei der Herstellung von Totalprothesen im CAD/CAM-Verfahren gibt es nennenswerte Vorteile, wie weniger Sitzungen und bessere Passform, aber auch die Nachteile sind nicht zu vernachlässigen. Denn die eingeschränkte Ästhetik, bisher eingeschränkte Langzeiterfahrung und hohe Investitionskosten seien zu berücksichtigen. Der Referent wagte einen Ausblick, was in der abnehmbaren Prothetik erwartet werden kann. So hofft er auf den routinemässigen Einsatz der 3D-Diagnostik und geschlossener, geführter Chirurgie, eine Reduktion der Anzahl und Dauer der Behandlungstermine, eine Konvertierung von festsitzendem in abnehmbaren Zahnersatz im Sinne einer Duplikatprothese sowie der Möglichkeit zum Scan der schleimhautgetragenen Abschnitte und Funktionszonen. Da er nicht ausreichend Zeit hatte, das Thema ausführlich zu beleuchten, liess er es sich nicht nehmen, auf den dreitägigen Master Course im Januar in Bern hinzuweisen.
Ein Thema, das Dr. Philipp Grohmann, der in Berlikon niedergelassen ist, seit mehr als zehn Jahren beschäftigt ist die Digitalisierung und Planung fixer Versorgungen. Angestrebt wird biologische, technische und ästhetisch voraussagbare Langzeitstabilität. Der Weg zu einer korrekten Implantatposition führt über das theoretische Wissen, die prothetische Planung und die anatomischen Kenntnisse des jeweiligen Falles. Grohmann stellte seinen Workflow in der Praxis vor, wo er auch zeigte, welchen Zeitaufwand er für die einzelnen Schritte kalkuliert und wie die Aufgabenverteilung im Team aussieht. Für den nötigen Erfolg in der Implantologie brauche es Wissen, das von vielen Schweizer Professoren und Zahnärzten in der Vergangenheit erarbeitet wurde und wovon die Nachwuchszahnärzte heute alle profitieren können.
Nach wirklich spannenden Vorträgen des Vormittags folgte eine Paneldiskussion unter Moderation von Prof. Dr. Frauke Müller und Dr. Claude Andreoni, die deutlich machte, welche Chancen in der digitalen Therapieplanung stecken.
Es folgte eine Mittagspause, für die anstatt des sonst üblichen Small talks und des Caterings im Foyer des Kursaals ein virtueller News-Room vorbereitet war.
 

Dr. Bruno Schmid blickte zurück – was hat sich in den letzten 20 Jahren bewährt?

Implantatchirurgie: digital versus analog
Weiter ging es nach der Mittagspause mit dem Past-Präsident der DGI Dr. Bruno Schmid, der über die Prinzipien sprach, die sich in den letzten 20 Jahren in der analogen Implantatchirurgie bewährt haben. Vor 20 Jahren wurde noch viel mehr im jugendlichen Alter implantiert und es gab viele knochengesteuerte Implantationen. Oft wurden zu viele Implantate in einem Kiefer gesetzt, woraus sich Probleme im interimplantären Bereich ergaben. Es gab auch viele verblockte Implantate, die für den Patienten schwer zu pflegen waren. Stellt sich die Frage, ob heute alles besser ist? Leider nein – es werden oft die gleichen Fehler noch immer gemacht. Es gibt immer noch unqualifizierte Behandler, falsche Patientenselektion, zu viele Implantate, falsche Vorgehensweisen, falsche Positionen etc. Aber was hat sich in den letzten 20 Jahren für gute Langzeitergebnisse mit Implantaten bewährt? Eine wichtige Grundlage sei die richtige Implantatselektion – ein gut dokumentiertes Implantat mit ausreichender Länge, Durchmesser und Festigkeit sowie einer modernen hydrophilen Oberfläche. Zudem die korrekte prothetische 3D-Positionierung, das Implantat muss nach Abschluss der Heilung von gesundem Knochen umgeben sein und soll in keratinisierter Mukosa stehen.
Einen Schritt weiter ging Prof. Dr. Sebastian Kühl (Basel) mit seinem Rückblick auf «15 Jahre Erfahrung mit CAIS». Es gelang ihm sehr schön, die verschiedenen Facetten der computergesteuerten Chirurgie zu beleuchten und zu zeigen, wie sich das bis heute entwickelt hat. In seinem Übersichtsvortrag stellte er die Vorteile der Guided Chirurgie aus Sicht des Chirurgen vor, ging aber auch auf die damit verbundenen Vorteile für den Patienten ein.
Über Erfahrungen mit der geführten Implantatchirurgie berichtete Dr. Claude Crottaz (Genf). Er konnte zeigen, dass Entscheidungen in der Privatpraxis oft anders gefällt werden als an der Universität und deshalb eine rechtzeitige Planung wertvoll ist. Einer längeren digitalen Planungsphase folgt eine schnellere geführte Implantatchirurgie.
Wie es mit der CAIS im zahnlosen Kiefer aussieht, dazu konnte Dr. Simone Janner (Bern) wichtige Erkenntnisse vermitteln. Es ist zu beachten, dass die Positionierung einer Schablone im zahnlosen Patientenmund sehr heikel ist und Erfahrung braucht.
Es folgte eine offene Diskussion zwischen Dr. Ueli Grunder und PD Dr. David Schneider (beide Zürich) zum Thema «Brain-guided versus computer-assisted implant». Dr. Ueli Grunder zeigte erfolgreich gelöste Fälle aus seiner Praxis. Als versierter Spezialist kann er auf seine 33 Jahre Implantaterfahrung vertrauen. Er implantiert «brain-guided» mit viel Gefühl und Wissen. Dadurch erreicht er ästhetische Ergebnisse mit passender Implantatrichtung und -position – und braucht den Computer nicht. PD Dr. Schneider zeigte im Anschluss, welch tollen Ergebnisse er mithilfe des Computers erzielen kann. Aber auch er betonte, dass das Hirn eine wichtige Rolle spiele. Denn auch nach einer computerassistierten Implantatplanung kann man immer noch entscheiden, ob man schablonengeführt oder freihändig implantieren möchte. Es besteht immer das Risiko, intraoperativ festzustellen, dass moderne Hilfsmittel aus irgendwelchen Gründen nicht zur Verfügung stehen. Dann darf es keinen Abbruch geben, sondern es muss das vorhandene Wissen zur freihändigen Implantation abgerufen werden. Schablonengeführte Chirurgie brauche mehr Zeit als die konventionelle und guided ist immer etwas teurer. Und wer weniger erfahren ist braucht in mehr Fällen eine Schablone.
Einen krönenden Abschluss fand der erste Tag in einer Paneldiskussion der Referenten. Prof. Ronald Jung fragte als Moderator bei den Referenten nochmals genau nach und konnte abschliessend Konklusionen für die verschiedenen Indikationen formulieren.
 

Prof. Dr.  Nicola Zitzmann sprach über die optische Abformung von Implantaten.

Prothetik und Zahntechnik: digital versus analog
Der zweite Kongresstag stand unter dem Thema Prothetik und Zahntechnik sowie den finanziellen Aspekten der Digitaltechnik. Den Auftakt machte Dr. Konrad Meyenberg (Zürich) mit seiner Analyse der analogen Techniken im Lichte digitaler Möglichkeiten – ein Thema das ihn schon lange Zeit beschäftigt ist die Präzision als Schlüssel zum Erfolg.
Es folgte Prof. Dr. Nicola Zitzmann (Basel), die über die optische Abformung bei Implantaten sprach. Neben einer Darstellung der verschiedenen Indikationen verwies sie auf die jeweiligen Limitationen und gab Tipps zur Fehlervermeidung.

Moderne Keramiken für die Implantatprothetik waren das Thema von PD Dr. Nadja Rohr.

PD Dr. Nadja Rohr aus Basel stellte im Anschluss moderne Keramiken für die Implantatprothetik vor. Eine klare Materialempfehlung konnte sie abschliessend nicht abgeben, Goldstandard bleibt die metallkeramische Krone. Es wäre wichtig, dass zeitnah eine klinische Überprüfung stattfindet, ob das Restaurationsmaterial einen Einfluss auf das Knochenniveau und den Implantaterfolg hat.
Nach einer virtuellen Pause ging es weiter mit Zahntechniker Pascal Müller (Zürich) mit digitalen Technologien für die Fertigung von festsitzenden Implantat-Rekonstruktionen. Aus Patientensicht muss eine Implantatbehandlung finanzierbar, langlebig und ästhetisch sein. Als Take home message gab er unter anderem den Hinweis, dass EZ-Kronen im Seitenzahnbereich digital funktionieren. Schwieriger ist es in der Front. Für perfekte Frontzähne brauche es ein Modell und eine Schichtung.
Klinische Aspekte von CAD/CAM gefertigten Implantat-Rekonstruktionen war das Thema vom SGI-Präsidenten Dr. Sven Mühlemann (Zürich). Er gab Antworten auf verschiedene Fragestellungen, u.a. nach der Eignung von Implantat-Abutment-Verbindungen für CAD/CAM gefertigte keramische Implantat-Rekonstruktionen, aber auch nach dem Design für den transmukosalen Anteil und dem Material für den koronalen Anteil.
Weiteren Input über Materialien,  Indikationen und digitale Möglichkeiten bekamen Privatpraktiker in der folgenden Paneldiskussion der Referenten und Moderatoren PD Dr. Julia Wittneben und Dr. Daniel Tinner.

Finanzielle Aspekte
Die Moderation des finalen Themenblocks übernahmen Prof. Dr. Urs Brägger und Prof. em. Dr. Andrea Mombelli. Das erste Referat von PD Dr. Norbert Cionca (Genf) befasste sich mit den finanziellen Aspekten in der Implantatchirurgie. Für ihn bleiben die Patientenauswahl und die Fallplanung die vorherrschenden Faktoren, um Kosten langfristig zu beeinflussen. Bei jedem Schritt der Behandlung ist ein Fehler möglich, darum sind Kenntnisse in der traditionellen Implantologie ein absolutes Muss.
Die digitale Implantatprothetik beleuchtete anschliessend Dr. Samir Abou-Ayash (Bern) aus ökonomischer Sicht. Er arbeitete heraus, wer bei der Frage nach der Ökonomie der Gewinner ist – digital oder konventionell? Aus Zahnärztesicht sind durch die digitale Transformation hohe initiale Investitionen nötig. Wenn die Fallzahl stimmt, ist das Gewinnpotential gross. Jedoch sind die erfolgreichen Indikationen noch beschränkt. Aus rein ökonomischer Sicht ist deshalb der analoge Weg in der Praxis überlegen. Im Labor ist der digitale Workflow nicht mehr wegzudenken, aber die Einschränkungen sind dieselben wie in der Praxis. Das Labor sollte aber beide Wege anbieten können. Aus Patientensicht ist der digitale Workflow mit dem Intraoralscanner positiv, da preiswerter, geringerer Zeitaufwand und weniger Termine.
Das Abschlussreferat wagte einen Blick in die Zukunft der personalisierten Zahnmedizin mittels Künstlicher Intelligenz. Was heute schon Fakt ist und was Fiktion, darüber berichtete Prof. Dr. Michael Bornstein (Basel) in seinem facettenreichen Vortrag. Im Moment wird zwar vieles noch theoretisch abgehandelt, aber seiner Einschätzung nach kann die Künstliche Intelligenz zu einer personalisierten Zahnmedizin beitragen – mit einem wahren Impact für Patienten.

Fazit
Nach der abschliessenden Diskussion zeigte sich Prof. Buser glücklich und erleichtert über die Topqualität, die die Schweizer Zahnheilkunde zu bieten hat – nicht nur an der Universität, sondern auch in der Praxis. Die Technik war perfekt, das Streaming ohne Unterbrechung, die Thematik brandaktuell, die Referenten top vorbereitet und auf höchstem Niveau vor der Kamera in Szene gesetzt. Ein trotz der Umstände sehr gelungener Kongress. Für November 2023 ist der nächste Schweizer Implantat Kongress geplant – dann hoffentlich wieder live vor Ort im Kursaal Bern.

Text: Carmen Bornfleth

Bis Februar 2021 ist eine On-Demand-Teilnahme möglich.
Hier geht es direkt zur Anmeldung:
https://www.bern-co.com/de/kongresse-symposien/5-schweizer-implantat-kongress-registration?preview