Innovationen in der Mundgesundheit älterer Menschen
Es war nicht verwunderlich, dass das Interesse so gross war. Die Liste der angekündigten Referentinnen und Referenten war schon im Vorfeld Garant für eine gelungene Veranstaltung: Prof. Dr. Murali Srinivasan (Zürich), Prof. Dr. Frauke Müller (Genf), Prof. Dr. Martin Schimmel (Bern), Prof. Dr. Heike Bischoff-Ferrari (Zürich), Prof. Dr. Michael Bornstein (Basel), Prof. Dr. Adrian Lussi (Bern/Freiburg), Prof. Dr. Thomas Attin (Zürich), PD Dr. Samir Abou-Ayash (Bern), Dr. Najla Chebib und Dr. Sabrina Maniewicz (Genf), Dr. Angela Stillhart (Zürich) und HD Marie-Laure Grandjean (Zürich).
Sie alle widmeten sich verschiedenen Themen und Fragestellungen zur Alterszahnmedizin. So befasste sich Frau Prof. Frauke Müller zum Auftakt mit einem gesundheitspolitischen Thema: Sie stellte Innovationen in der Mundgesundheitspolitik und bei der Ausbildung in der Seniorenzahnmedizin vor. Ob die orale Hypofunktion ein Grund zur Sorge ist, darauf hatte Prof. Dr. Martin Schimmel eine Antwort.
Prof. Dr. Frauke Müller sprach über Innovationen in Mundgesundheitspolitik und Ausbildung in der Seniorenzahnmedizin.
Fälle aus den vier Universitäten
Abwechslung brachten die von den vier Schweizer Universitäten vorgestellten Fallpräsentationen, die einen Einblick in die jeweilige Philosophie und Therapie gaben. So hatte jeweils ein Nachwuchstalent die Gelegenheit für eine viertelstündige Präsentation eines Patientenfalles mit Diagnose, Befunden, Behandlungsplanung und erfolgter Therapie.
Gesundheit und Mundgesundheit
Über das gesunde Altern sprach nach der Kaffeepause Dr. Heike Bischoff-Ferrari. Sie beantwortete die Frage, warum wir für ein gesundes und aktives Altern eine gute Mundgesundheit brauchen. Ihr Fazit am Ende eines spannenden Vortrages: Orale Gesundheit ist zentral wichtig für eine gesunde Ernährung. Im Gegenzug ist aber auch eine gesunde Ernährung von zentraler Bedeutung für die Mundgesundheit und die allgemeine Gesundheit.
Prof. Dr. Michael Bornstein klärte auf zu Polypharmazie.
Polypharmazie und Multimorbidität
Weiter ging es mit spannenden Einblicken von Prof. Dr. Michael Bornstein in die Thematik Polypharmazie und Multimorbidität und die Auswirkungen auf Speichel und Mundgesundheit.
Wichtig sei, dass Risikopatienten und deren potenzielle Risiken vor der Behandlung als solche identifiziert werden. So können Behandlungen konkret geplant werden oder aber auch kontraindiziert sein. Es gilt abzuwägen, wie sehr Kontraindikationen negativen Einfluss haben. Bei relativen Kontraindikationen kann eine Behandlung prinzipiell durchgeführt werden, sie muss aber richtig geplant werden. Wichtig ist in dem Zusammenhang eine fundierte Anamnese. Nur so erkennt man Risikopatienten.
Bei einer Multimorbidität treten gleichzeitig zwei oder mehr chronische Krankheiten gleichzeitig auf. Heute sind rund 30 % aller Personen in der Schweiz multimorbid. Tendenz steigend. Das ist wiederum der Hauptrisikofaktor für Polypharmazie. 80 % der über 70-Jährigen nehmen täglich Medikamente ein, davon mehr als die Hälfte fünf oder mehr pro Tag. Meist kennen die Patientinnen und Patienten die Namen der jeweiligen Medikamente jedoch gar nicht, weshalb ein aktueller Medikamentenplan ebenso wichtig ist wie eine stets aktuelle Anamnese. Denn es kann sich jederzeit was ändern.
Die häufigsten chronischen Erkrankungen ab 50 Jahren sind Kardiovaskuläre Erkrankungen, Malignome, COPD, Diabetes, Lebererkrankungen, Osteoporose sowie neurokognitive Erkrankungen inklusive Depression und Demenz. Polypharmazie wirkt sich irgendwann auf den Speichelfluss aus. Dessen Funktionen, wie u. a. Befeuchtung, Geschmacksperzeption, Remineralisation, Reinigung und Spülung sowie die antibakterielle Wirkung, haben extremen Einfluss auf einen Therapieerfolg. Dabei ist oft nicht entscheidend, welche Medikamente eingenommen werden, sondern in welcher Menge.Prof. Bornstein rät abschliessend dazu, bei Unklarheiten genau nachzufragen oder ggf. an den Spezialisten zu überweisen: «Wir müssen mehr miteinander kommunizieren!»
Prävention und Restauration
Nach einer Mittagspause mit reichhaltigem Büffet, einer recht grossen Industriepräsenz und genügend Zeit für kollegiale Gespräche mit den anwesenden Zahnärzt-Innen, ZahntechnikerInnen, DHs und ReferentInnen ging es weiter mit dem Nachmittagsprogramm.
«Besonderheiten des (Wurzel-)Dentins und mögliche Konsequenzen bei einem älteren Patienten» war das Referatsthema von Prof. Dr. Adrian Lussi. Er ging näher ein auf die Pathohistologie von Wurzelkaries, erklärte warum Dentin anfälliger ist für Karies als Zahnschmelz und beleuchtete das regenerative Potenzial des Dentin-Pulpa-Komplexes. Am Schluss gab es als Take home message noch vier wertvolle Erkenntnisse: Dentin ist anfälliger auf Karies als Schmelz wegen einer höheren speziellen Oberfläche. Für den gleichen Schutz braucht Dentin mehr Fluorid als Schmelz. Das regenerative Potential des Dentin-Pulpa-Komplexes kann und soll genützt werden. Dabei ist ein minimalinvasives Vorgehen möglich.
Prof. Dr. Thomas Attin befasste sich mit Klasse-V-Läsionen.
Die grösste Herausforderung
Nach einer Präsentation fantastischer Zahnkunstbilder von Prof. Lussi ging es direkt weiter mit Prof. Dr. Thomas Attin. Dass die Versorgung von Klasse-5-Läsionen die grösste Herausforderung in Klinik und Praxis darstellt, konnte er überzeugend vermitteln. Auch wenn die Ausgangslage auf seinen Bildern eher unattraktiv war, zeigte er schöne Ergebnisse auch bei multiplen zirkulären Klasse-V-Restaurationen. Prof. Attin ging auf die Probleme ein, die bei der Therapie oft auftreten und stellte Techniken und Materialien vor, die funktionieren und zu guten Ergebnissen führen. Er selbst ist ein gros-ser Freund von Matrizen, die auch im zervikalen Bereich helfen, die Arbeit zu erleichtern.
Heute und in Zukunft
Bis zum Ende des Kongresses folgten noch drei Vorträge. PD Dr. Samir Abou-Ayash sprach über moderne Behandlungskonzepte von teilbezahnten älteren Erwachsenen. Bei Dr. Najla Chebib und Dr. Sabrina Maniewicz ging es um Totalprothesen. Das Genfer Team präsentierte, was es gibt, was neu ist und was uns in Zukunft noch erwartet. Dr. Angela Stillhart und HD Marie-Laure Grandjean zeigten im Anschluss dann noch die Anwendung neuer Technologien in der Pflege gebrechlicher älterer Menschen.
Fazit
Alles in allem ein sehr gelungener Jahreskongress. Die Themen top-aktuell, die ReferentInnen hochmotiviert, die Dentalaussteller zufrieden und die TeilnehmerInnen haben sehr viel wertvolles Wissen für die Praxis mitgenommen. Die älteren Patientinnen und Patienten werden es ihnen danken.
Ein volles Plenum als Indiz dafür, dass das Thema sehr gut ankommt und im Alltag immer wichtiger wird!