18. Jan. 2021

Nachhaltige Hilfe für Patienten durch systemische Kommunikation

Smiling Dentist Explaining Tooth Implantation
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Demgegenüber prägt die aktuelle Entwicklung einen Kontext in der (Zahn-)Medizin, der immer weniger Raum und Zeit für das Gespräch mit Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stellen scheint, geschweige denn für Beobachtung und Zuhören. Exemplarisch hierfür sei die folgende Wortmeldung im Rahmen eines Curriculums für Alterszahnmedizin zitiert:
«Diese Weiterbildung hat mir im Gegensatz zu einem Seminar über Praxismanagement aufgezeigt, dass wir doch lernen müssen mit unseren Patienten nicht nur zu sprechen, sondern diesen auch zuzuhören.»
Die zahlreichen kommunikativen Herausforderungen des Praxisalltags dürfen nicht der operativen Routine und oralen Fixierung bei der Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit zum Opfer ­fallen.

Menschen im (zahn-) medizinischen Kontext
Patienten im fremden (zahn-)medizinischen Kontext befinden sich im Ausnahmezustand und beziehen alle mehrdeutigen Geschehnisse in negativer Weise auf sich selbst.
Die Wahrnehmungsfähigkeit für Atmosphäre und Gestimmtheit der Fachpersonen ist erhöht. Vieles wird wörtlich verstanden. Negationen werden ausgeblendet, sodass beispielsweise eine als nicht schlimm bezeichnete Diagnose als schlimm wahrgenommen wird. Die Menschen erstarren und erscheinen dadurch äusserlich ruhig, obwohl sie es innerlich nicht sind. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers, der Umgebung und der Zeit sind verändert. Es besteht eine stark erhöhte Suggestivität und Suggestibilität. Die Menschen erleben eine aussergewöhnliche Kommunikationssituation mit Autoritätspersonen, in der Sorgen und Ängste verschwiegen und erhaltene Informationen ausgeblendet werden (selektive Amnesie). Diagnosen zerstören die Illusion, ohne Therapie weiterhin gesund und leistungsfähig leben zu können. Dadurch wird die Aufnahmekapazität für neue Informationen begrenzt. Es entstehen Gefühle wie Angst, Hoffnungslosigkeit, Trauer oder Enttäuschung.1,2

Fordernde Kommunikation
Wir können nicht nicht kommunizieren.
Jede unserer Mitteilungen hat eine Ursache und eine Wirkung, die auf einem Inhalts- und einem Beziehungsaspekt gründen. Dabei gilt zu beachten, dass Kommunikation nicht nur verbal erfolgt, sondern auch paraverbal und nonverbal, wobei Worte den kleinsten Wirkungsanteil haben. Im medizinischen Kontext verläuft Kommunikation zudem häufig asymmetrisch, die Machtverhältnisse zwischen Arzt und Patient sind dann nicht ausgeglichen.3

Systemische Gesprächsführung
Die bisher aufgezeigten Sachverhalte unterstreichen die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Wahrnehmung und Gesprächsführung. Jede Konsultation bedarf einer zeitlichen Gliederung in das Gespräch und in weitere Interventionen. Je nach Herausforderung ist zu entscheiden, ob eine Konsultation bewusst in eine Randzeit gelegt wird. Grundsätzlich sollte ein Praxistag eine ausgeglichene Mischung von unterschiedlich anspruchsvollen Konsultationen umfassen. Von zentraler Bedeutung ist die Klärung des Patientenauftrags und des Ziels der medizinischen Behandlung. Nur so gelangt die ärztliche Fachperson in die Lage, einen nicht erfüllbaren Auftrag abzulehnen.

Ein Symptom oder eine Klage sind noch kein Auftrag.
Nicht nur die ärztliche Fachperson hat eine konsultationsbezogene Agenda, sondern auch die Patienten. Die Vorstellung des Konsultationsplans bietet den Patienten Sicherheit und Autonomie. Die beiderseitigen Anliegen können abgestimmt werden. Die Mitteilung der für eine Intervention zur Verfügung stehenden Zeit ermöglicht es, eine Konsultation rechtzeitig abzuschliessen und bei Bedarf eine weitere zu vereinbaren bzw. Tarifklarheit zu schaffen.
Wer etwas erfahren will, hat zwei Möglichkeiten: Fragen oder Zuhören. Wer Fragen stellt, der führt. Wer jedoch ausschliesslich gezielte Fragen stellt, bewegt sich im eigenen Denkmuster und läuft Gefahr, Unerwartetes zu übersehen.

Wer zu viel sagt, erntet Vergessen.
Mehr als zehn Informationen vermögen Patienten insbesondere im medizinischen Ausnahmekontext in aller Regel nicht zu verarbeiten. Zudem bedürfen diese der Wiederholung und Spiegelung, um in Erinnerung zu bleiben. Deshalb müssen Erkenntnisse auf Augenhöhe und mit verständlichen Worten zusammengefasst, Diagnosen und Prognosen erklärt und zur Gesamtgesundheit in Relation gesetzt werden. Dabei gilt es zu entscheiden, ob man mit dem wissenschaftlichen oder nicht besser mit dem subjektiven Krankheitsbild des Patienten arbeitet.
Anstehende Entscheidungen müssen angekündigt sowie die Optionen mit ihren Vor- und Nachteilen partizipatorisch diskutiert werden. Dabei sind die Präferenzen der Patienten und des Arztes zu klären und in Einklang zu bringen. Auch die Einigung auf ein weiteres Vorgehen soll durch Wiederholung und Spiegelung überprüft werden. Verbleiben divergierende Standpunkte, so werden diese zusammengefasst und Klärung angeboten:
Beispiel: «Möchten Sie mir sagen, dass Sie keine Fluoride wollen? Möchten Sie hören, was ich über Fluoride denke? Wären Sie allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt bereit, mich wohlwollend anzuhören und zu überdenken, was ich sage, selbst wenn meine Aussagen nicht mit Ihren Erwartungen übereinstimmen sollten?»
Für jede Konsultation soll ein positiver Abschluss gefunden werden, indem z. B. ein heisses, duftendes Erfrischungstuch, Tee oder Wasser gereicht bzw. Kinder sich im Zaubersack eine kleine Belohnung ertasten können. Die Mitarbeit der Patienten wird gewürdigt, für Vertrauen gedankt und die Zufriedenheit mit Verlauf und Ergebnis der Konsultation geklärt. Nur überzeugte Patienten werden entlassen.

Auszug aus dem Curriculum «Systemische Kommunikation» des 2. Masterstudienjahrs am Universitären Zentrum für Zahnmedizin der Universität Basel

Literatur auf Nachfrage beim Verlag.

Prof. Dr. Christian E. Besimo
Kliniken für Orale Gesundheit und Medizin sowie Rekonstruktive Zahnmedizin
Mattenstrasse 40, 4058 Basel
christiane.besimo@unibas.ch