21. März 2024

Diego Gabathuler, CEO der Geistlich Pharma AG, im Interview

Seit Dezember 2023 ist Diego Gabathuler CEO der Geistlich Pharma AG. Er hat damit die Nachfolge von Ralf Halbach angetreten, der das Unternehmen im August 2023 verlassen hat. Viele unserer Leserinnen und Leser kennen ihn noch als CEO von Ivoclar. Im Interview verrät er spannende Details zu seinen Plänen und Visionen mit Geistlich und beantwortet auch unsere etwas persönlicheren Fragen.

Diego Gabathuler, CEO der Geistlich Pharma AG.
Geistlich

Herr Gabathuler, Glückwunsch zur neuen Position als CEO bei Geistlich. Was hat Sie an dieser neuen Aufgabe gereizt?
Gabathuler: Was mich von aussen betrachtet schon vor meinem Start bei Geistlich stark fasziniert hat, waren die starke und anziehende Marke, die weltweit renommierten Spitzenprodukte sowie das hochstehende Weiterbildungsangebot. Seit meinem Eintritt ins Unternehmen begeistern mich zudem die vielen intelligenten, leistungsorientierten und warmherzigen Menschen sowie die enorm starke Firmenkultur. Ich erachte es als sehr grosses Privileg, für ein so attraktives und global führendes Unternehmen zu arbeiten, das mit seinen einzigartigen regenerativen Produkten Millionen von Menschen auf der ganzen Welt hilft, ihre Lebensqualität zurückzugewinnen. Das grösste Lob gebührt dabei den Ärzten, welche unsere Produkte mit viel Geschick bei ihren Patienten einsetzen.

Geistlich ist Weltmarktführer im Bereich der regenerativen Zahnmedizin. Inwiefern können Sie Ihre bisherige Dentalerfahrung bei der neuen Zielgruppe der Implantologen, Oral- und MKG-Chirurgen einbringen?
Gabathuler: Interessanterweise gibt es wenige Überschneidungen mit meinem vorherigen Tätigkeitsfeld, und dennoch kann ich meine breite Branchenerfahrung in viele Zukunftsthemen im Bereich der Biomaterialien transferieren. Die Anwender von Biomaterialien haben andere Anforderungen an die Produkte und Dienstleistungen. Wir sprechen von sterilen Medizinprodukten der Klasse 3, was in Bezug auf Forschung, Entwicklung, Produktion und Registrierung noch viel anspruchsvoller ist. Biomaterialien bilden eine eigene, sehr spezielle und faszinierende Produktkategorie, mit noch höherer Komplexität und ganz anderen technologischen Herausforderungen und Möglichkeiten. Dabei hilft es mir natürlich, dass ich den Markt seit vielen Jahren sehr gut kenne und auf ein starkes, weltweites Netzwerk bauen kann.

Innovatives Schulungskonzept vorgestellt

Geistlich hat kürzlich mit myGuide® ein innovatives Schulungskonzept vorgestellt. Was steckt dahinter?
Gabathuler: Das Thema Fortbildung wird aus unserer Sicht noch mehr an Bedeutung gewinnen, da die Komplexität aber auch die Möglichkeiten für die Anwender laufend weiter zunehmen. Geistlich ist führend im Bereich der Regeneration und bei der spezialisierten Fortbildung für chirurgische Behandlungen. Mit Geistlich myGuide präsentieren wir nun die weltweit erste komplette Online-Bildungsreise für die dentale Regeneration. Geistlich myGuide wurde mit international renommierten Experten erarbeitet und die Inhalte werden auch von diesen präsentiert. Damit ermöglichen wir den Praktikern und ihren Teams, sich individuell und interaktiv weiterzubilden und die besten regenerativen Lösungen für die unterschiedlichsten Patientenbedürfnisse zu finden. Mit dieser Plattform wollen wir das breite und wertvolle Wissen einfach und gebündelt weitergeben, um so die Zukunft der regenerativen Medizin aktiv mitzugestalten und zu verbessern.

Wo kann Künstliche Intelligenz helfen?

Spielt das Thema «Künstliche Intelligenz» bei Geistlich heute schon eine Rolle?
Gabathuler: In der schnell voranschreitenden Digitalisierung sowie auch im Zusammenhang mit der rasanten Verbreitung von KI und Co. sehe ich vor allem die Chance, die Menschen und den persönlichen Kontakt wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Was meine ich damit? Die Digitalisierung hat unser Leben in vielerlei Hinsicht einfacher und komfortabler gemacht. Auf der anderen Seite nehmen die Realitätsverzerrung und Vereinsamung junger Menschen zu. Zudem möchte ich auch nicht nur immer mit einer Maschine sprechen, wenn ich mich mit einer Frage zu einem Produkt an ein Unternehmen wende.
Aber zurück zu KI und Co: Wie viele Unternehmen arbeiten auch wir aktuell mit KI, «Machine Learning» und «Deep Learning». Andere Branchen, in denen es nicht um Medizin und Menschen geht, wie z. B. Unterhaltungssoftware, werden auch hier wieder eine Vorreiterrolle einnehmen. Langfristig sehe ich enorme Chancen in der gezielten Anwendung von KI und Co, z. B. im Zusammenhang mit der Früherkennung und Behandlung verschiedenster Krankheiten.

Welche Bedeutung hat die Nachhaltigkeit?

Ein weiteres Top-Thema ist derzeit die Nachhaltigkeit. Welche Bedeutung hat das Thema Nachhaltigkeit für Geistlich?
Gabathuler: Der verantwortungsbewusste Umgang mit Ressourcen ist für uns von grosser Bedeutung. Nicht ausschliesslich, aber speziell für die nächste Generation von Kunden und Mitarbeitenden ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Entscheidungskriterium für oder gegen eine Marke. Wir haben Pläne für alle Bereiche, wie wir unseren ökologischen Fussabdruck kontinuierlich reduzieren werden. Beispiele sind gezielte Energiesparmassnahmen in der Produktion sowie unsere eigene Stromerzeugung aus Wasserkraft am Produktionsstandort in Wolhusen. Aber auch in den Bereichen Verpackung und Logistik konnten wir bereits erste Reduktionen erfolgreich umsetzen. Wir sind gerade dabei, sämtliche Verpackungen zu überdenken und zu redimensionieren. Dazu kommen noch die Bereiche Reisen und Veranstaltungen, wo wir klare Massnahmen ergriffen haben, um nur einige zu nennen. Wir werden an diesem wichtigen Thema dranbleiben.

Wie geht es weiter?

Was hat die oberste Priorität für dieses Jahr und wie sehen Ihre Pläne aus, um dieses Ziel zu erreichen?
Gabathuler: Unser oberstes Ziel ist es, den Ärztinnen und Ärzten rund um die Welt die stärksten Lösungen für die regenerative Medizin anzubieten, damit sie ihre Patient-innen und Patienten bestmöglich behandeln können. Dabei spielen unsere Mitarbeitenden eine entscheidende Rolle. Ihnen will ich ein einladendes, forderndes und spannendes Umfeld bieten, das zu neuen Spitzenleistungen animiert. Wir wollen Freude und Erfolg miteinander verbinden, denn nur das ist nachhaltig. Zufriedene Mitarbeitenden zu haben wird automatisch helfen, unseren hochstehenden und einzigartigen Kundenservice weiter zu pflegen und überall, wo möglich, noch weiter zu verbessern. Zweitens wollen wir das Thema Innovation sehr viel breiter denken und mit ganz neuen Ansätzen punkten. Und drittens werden wir unsere geografische Expansion in neue Märkte konsequent weiter vorantreiben.

Was sind die Herausforderungen?

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Herausforderungen für die Dentalindustrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren?
Gabathuler: Ich sehe Herausforderungen im Bereich der regulatorischen Bestimmungen. Diesen begegnen wir mit unseren ausgereiften Prozessen in der eigenen starken Forschung und Entwicklung sowie in unserem kompromisslosen Qualitätsmanagement. Ich sehe aber auch zahlreiche Chancen, etwa in den drei Bereichen Prävention, Regeneration und minimalinvasive Restaurationen. Die Behandlungsmöglichkeiten sind breiter geworden und damit ist die Komplexität für die Anwender gestiegen. Und hier werden hochstehende Aus- und Weiterbildungsangeboten eine wichtige Rolle spielen. Eine gros-se Herausforderung wird es sein, gut ausgebildetes und motiviertes Fachpersonal zu finden und zu halten. Das gilt für die Praxen, für die Labors und für die Industrie. Es zeichnet sich vor allem auch ein Mangel an qualifizierten, jungen Zahntechnikern ab, was für die Prothetik eine Herausforderung sein wird. Auch darum glaube ich, dass nur die attraktiven und modernen Arbeitgeber langfristig eine Chance haben werden.

Gibt es eine Vision für Geistlich?

Haben Sie eine langfristige Vision für Geistlich?
Gabathuler: Die langfristige Vision bleibt, unabhängig von der Körperregion, die medizinische Regeneration gesamthaft voranzutreiben vom Wohle der Patienten. Beschädigte Gewebe und Gelenke sollen nicht mehr ersetzt, sondern mit Hilfe unserer Technologien durch natürliche, körpereigene Prozesse regeneriert werden. Damit wollen wir zusammen mit den Produktverwendern die Menschen von Schmerzen und Einschränkungen befreien und ihnen eine neue Lebensqualität schenken. Der Motor dazu ist unsere Pionier-DNA in sämtlichen Bereichen, von den Produkten, über Fortbildungsangebote bis hin zur globalen Vermarktung. Wie einige Leser der ZSS vielleicht wissen, sind wir mit unseren Produkten auch in Bereichen der regenerativen Sportmedizin führend, z. B. mit Geistlich Chondro-Gide für das Knie. Weitere Produkte ausserhalb von Dental sind in der Entwicklungspipeline.

Welche Rolle spielen dabei die internationalen Märkte? Und wo steht die Schweiz?
Gabathuler: Wesentliche Teile unseres Erfolgs basieren auf unserem Standort Schweiz. Die Schweiz und Schweizer Unternehmen stehen für einen enormen Erfindungsreichtum, einzigartige Qualität und vor allem auch eine starke Zuverlässigkeit. Wir werden auch in diesem Jahr wieder in unseren Forschungs- und Produktions-standort Wolhusen investieren.
Wir wollen Menschen weltweit mit der medizinischen Regeneration helfen. Das Bewusstsein für Mundgesundheit ist in der Schweiz bereits sehr hoch. Das zukünftige Wachstum wird wohl zum grössten Teil aus internationalen Märkten kommen und dort vor allem aus den Schwellenländern.

Die Person Diego Gabathuler

Zum Schluss noch ein paar persönliche Fragen: Was war Ihr bislang grösster beruflicher Erfolg/Misserfolg und was haben Sie daraus gelernt?
Gabathuler: Mein grösster Misserfolg war die misslungene Einführung eines neuen Produktes im Jahr 2015. Daraus habe ich gelernt, dass es manchmal sinnvoll sein kann, das alte Produkt parallel zum neuen noch länger auf dem Markt zu lassen, um verschiedene Probleme zu vermeiden. Der grösste Erfolg liegt immer in der Zukunft.

Ein weiteres Top-Thema ist heute die Work-Life-Balance. Wie halten Sie die Balance?
Gabathuler: Die Basis für eine gute Work-Life-Balance ist, dass man seinen Job gerne macht. Dazu braucht es die Disziplin, das Arbeiten am Abend und am Wochenende auf ein Minimum zu reduzieren oder zumindest auf kreative Arbeiten zu beschränken. Für mich persönlich ist es unabdingbar, mindestens jeden zweiten Tag draussen Sport zu treiben. Deshalb habe ich auf Geschäftsreisen auch immer meine Laufschuhe im Gepäck. Weiter schalte ich um 20 Uhr mein Mobiltelefon auf Flugmodus. Die Familie, Freundschaften und Hobbies zu pflegen sind mir sehr wichtig.

Was sind die wichtigsten Eigenschaften, die ein erfolgreicher CEO mitbringen muss?
Gabathuler: Grundsätzlich erachte ich Authentizität für essenziell und glaube deshalb nicht an den Prototypen des erfolgreichen CEOs. Ich würde die wichtigsten Kompetenzen in drei Bereiche gliedern. Zum einen braucht ein CEO einen sehr breiten und auf Erfahrung basierenden, fachlichen Werkzeugkasten. Ein sehr wichtiges Instrument dabei ist ein gutes Verständnis von Zahlen und Finanzen. Zum zweiten braucht es ein tiefes Verständnis für verschiedene Methodiken zur effektiven und effizienten Anwendung der richtigen Werkzeuge. Und zu guter Letzt – und aus meiner Sicht am wichtigsten – ist »Leadership» und die uneingeschränkte Freude an der Arbeit mit den unterschiedlichsten Menschen und an deren persönlicher Entwicklung. Natürlich muss diese Freude mit einem starken und modernen Führungsstil einhergehen. Gute Führung bedeutet für mich vor allem Klarheit, Inspiration sowie Forderung und Förderung.

Danke, Herr Gabathuler, und viel Erfolg bei den nächsten Schritten.

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