30. Apr. 2020

Chefsache Selbstüberschätzung – Ich doch nicht!

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ZZS

Bevor ich mich zu einem delikaten Chef-Thema äussere, möchte ich festhalten, dass meine persönlichen Erfahrungen als Führungskraft diesen Artikel bestätigen und ich mich nicht davon ausnehmen möchte. Ohne mir damals als junge Führungskraft bewusst gewesen zu sein, litt ich mit grosser Wahrscheinlichkeit an Selbstüberschätzung, so wie es die meisten Chefs tun (Ruft Ihre innere Stimme jetzt «Ich doch nicht?»).
Ich gab damals mein Bestes als Chefin und war der irrigen Meinung, es wäre auch das Beste für mein Team. Fehlanzeige. In der Zwischenzeit habe ich dazugelernt.
Studien haben aufgezeigt, dass sich die meisten Führungskräfte überschätzen. Chef staune: Es gibt in der Tat viele Mitarbeitende, die sich wundern, dass die Firma nicht wegen des Chefs, sondern trotz des Chefs, noch gut läuft.
Ich wundere mich indessen während meiner Business-Coachings, dass die Mitarbeitenden bei solchen Führungskulturen nicht davonlaufen. Es ist manchmal wirklich zum davon laufen, nämlich dann, wenn ich für ein Teamcoaching gerufen werde, obwohl ein Führungscoaching viel angebrachter wäre.

Selbsterkenntnis hilft
Die Selbstblindheit auf Führungsetagen ist teilweise frappant. Natürlich gibt es die löblichen Ausnahmen, so wie Sie. Oder wie kürzlich an einem Business-Meeting der CEO, der vor seinem Kader offen anerkannt hat, dass er als Chef die volle Verantwortung für die schlechte Stimmung in den Teams trage und er diese nicht einfach auf die Mitarbeitenden oder die Umstände abwälzen dürfe. Sein Zitat sind meine Worte: «Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken». Selbsterkenntnis ist der beste Weg aus der Selbstüberschätzung.
Doch weshalb besteht die Tendenz, dass sich Vorgesetzte oft selbst überschätzen? Weshalb glauben rund 75 % der befragten Vorgesetzten, einen guten Job zu machen, während nur 36 % der Mitarbeiter zufrieden mit ihnen sind? Die Selbst- und Fremdwahrnehmung klafft auch in anderen Punkten auseinander: Zwei Drittel der befragten Mitarbeitenden beklagten, dass sie weder klare Aufgaben noch Ziele bekommen und ihre Arbeit und die Ergebnisse nicht reflektiert oder wertgeschätzt würden. Viele empfinden ihre Arbeit wie in einem Vakuum, weil sich die Vorgesetzten nicht für sie und ihre Arbeit interessieren. Die Ergebnisse dieser Studie waren schon schlimm genug, doch das Schlimmste daran war, dass die Führungskräfte ein ganz anderes, viel positiveres, Bild von sich hatten. Zurück zur Frage, weshalb?
Hier möchte ich eine Lanze brechen für die belasteten Chefs und Chefinnen: Sie überschätzen sich nicht mit Absicht. Oft sind sie ohne Führungsausbildung in eine Führungsposition gerutscht, haben eine Praxis übernommen und arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen. Sie sind nicht ausreichend auf ihre Führungsposition vorbereitet, obwohl sie Meister ihres Fachs sind, aber oft nicht Meister in der persönlichen Reflexionsfähigkeit.

Feedback einholen hilft
Die Fähigkeit zur Selbstreflexion bedingt entsprechende Persönlichkeitsreife, damit man eigene Schwächen eingestehen kann. Selbstreflexion erweist sich als schwierig, wenn einem niemand Feedback gibt. Somit erfordert es Grösse, sich als Führungskraft Feedbacks von Mitarbeitenden oder Sparringspartnern einzuholen, damit man an der persönlichen Führungsentwicklung arbeiten kann.
Was ich übrigens aus eigener Erfahrung wärmstens empfehlen kann. Nachdem ich regelmässig von meinen Mitarbeitenden Feedbacks eingefordert hatte, durfte ich mit unterstützenden Führungsausbildungen lernen, dass ich mich selbst als Chefin auch noch entwickeln kann.
Und so ist nobody perfect und wird es niemals sein. Die Kunst der guten Führung liegt im Erkennen, Annehmen und Entwickeln des Imperfekten mit dem Ziel, ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander zu erreichen. Selbstüberschätzung in der Praxis – vielleicht doch?

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Barbara Brezovar Capobianco
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