10. Nov. 2020

Die Digitalisierung wird sich in der Kieferorthopädie lawinenhaft weiterentwickeln

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Carmen Bornfleth

ZZS: Wie hoch ist aktuell der Digitalisierungsgrad in Ihrem Labor?
orthomeier: Aktuell erhalten wir etwa 60 % der Aufträge als 3D-Datensatz und etwa 10 % der analogen Aufträge werden mit zwei Modellscannern von Dentaurum und 3Shape für die digitale Planung und Weiterverarbeitung digitalisiert. Im Zusammenhang mit Intraoralscans arbeiten wir mit den Kommunikationsportalen der Hersteller 3Shape, Sirona, itero, CS Connect und 3M. Für die Hersteller ohne Kommunikationsplattform bieten wir zudem die Möglichkeit, Daten über unsere intern gehostete Cloud-Lösung, via FTP, per E-Mail oder WeTransfer zu übermitteln.

ZZS: Welches Equipment setzen Sie ein?
orthomeier: Für die Verarbeitung der 3D-Daten haben wir sieben Arbeitsstationen, auf denen unterschiedliche Aufgaben durchgeführt werden. Im ersten Schritt verwenden wir OnyxCeph von Image Instruments, um die Scans zu beschneiden, auszurichten, vermessen, segmentieren, sockeln und gravieren. In Programmen wie Sirona inLab, 3Shape Appliance Designer, Freeform und wiederum OnyxCeph werden danach Behandlungsgeräte gezeichnet, welche bei spezialisierten externen Lasermelting-Partnern ausgedruckt werden. Die Ausarbeitung der Geräte erfolgt bei uns intern. Arbeits- und Studienmodelle drucken wir intern mit zwei 3D-Druckern von Rapid-shape. Weitere Anwendungen, die bei uns im Zusammenhang mit 3D-Daten zum Einsatz kommen, sind beispielsweise Meshmixer, Netfabb, CloudCompare oder Blender.

ZZS: Welche Produkte werden in Ihrem Labor aktuell im CAD/CAM-Verfahren geplant und hergestellt?
orthomeier: Bei den digital erteilten Aufträgen sind es vor allem die festsitzenden Apparaturen. GNE, Hybrid-GNE, Herbstscharnier, Transpalatinalbogen, Bänder, Lückenhalter, Retainer und M.A.R.A. Apparaturen. Dazu kommen Bracketmasken, Aligner und eigens entwickelte Kleinteile für die Fertigung von kostengünstigeren Geräten.

ZZS: Haben Sie auch eigene Produkte entwickelt?
orthomeier: Für die Implantat gestützten Systeme Benefit und Straumann haben wir eigene Scanbodies entwickelt, welche die absolut passgenaue Übertragung gewährleisten. Die Eigenentwicklung war nötig, da uns von den Herstellern keine digitalen Übertragungssysteme zur Verfügung gestellt werden konnten. Ein weiterer Vorteil bei diesen Scanbodies ist, dass wir sie analog und digital verwenden können.

ZZS: Welche Vorteile bieten Ihnen CAD/CAM-Verfahren?
orthomeier: Der Vorteil von im CAD/CAM-Verfahren produzierten Geräten liegt eindeutig in der Passgenauigkeit, aber auch im oft schweissverbindungsfreien Herstellungsverfahren. Wir haben deutlich weniger Brüche von Behandlungsgeräten. Es lassen sich viele Apparaturen individueller, zierlicher und passgenauer zeichnen, was mit gezogenen Drähten nicht erreicht werden kann. Dies ist wiederum eine deutliche Komfortsteigerung für die Patienten. Die anfangs erwähnten Behandlungsgeräte werden entweder im Lasermeltingverfahren aus Chrom/Kobalt (wie im normalen Stahlgussverfahren) ausgedruckt oder aus Titan Grad 5 Rohlingen gefräst. Die im SLM-Verfahren hergestellten Geräte zeichnen sich durch eine wesentlich höhere Strukturdichte aus – die Teile aus Titan sind komplett nickelfrei und dadurch in höchstem Masse verträglich.

ZZS: Stichwort CAD/CAM Retainer: Was ist darunter zu verstehen und worin besteht der Vorteil?
orthomeier: Unsere CAD/CAM-Retainer sind digital gezeichnete Retainer, welche aus einem Titanblock gefräst werden. Sie können direkt auf unbearbeiteten Intraoralscans oder digitalisierten Gipsmodellen geplant werden.
Vorteile bei diesem Verfahren sind zahlreich: einerseits die sehr hohe Passgenauigkeit des Retainers, da er sich perfekt der anatomischen Zahnform anpassen lässt und individuell konstruierbar ist. Gegenüber gebogenen Retainern ist die Materialbelastung vollkommen irrelevant. Der Retainer wird aus dem vollen Material gefräst, das Metallgefüge wird nicht verändert. Bei gebogenen Retainern wird das Material zwangsläufig stark strapaziert und die Veränderung des Metallgefüges ist unumgänglich.

ZZS: Wie ist die bisherige Erfahrung damit?
orthomeier: Die Retainer sind so passgenau, dass viele Behandler inzwischen auf die Herstellung von Setzhilfen verzichten. Der Draht wird lediglich mit Zahnseide fixiert und fällt aufgrund seiner Form perfekt an die geplante Stelle. Was uns auch von den Behandlern bestätigt wird, ist, dass es deutlich weniger «Recall»-Situationen gibt. Zuletzt ist es durch das Verfahren möglich, Retainer zu gestalten, die von Hand kaum biegbar wären. Allerdings ist zu erwähnen, dass CAD/CAM-Retainer immer auf allen Zähnen geklebt werden müssen.

ZZS: Sind Sie die einzigen, die solche Retainer anbieten?
orthomeier: Die Firma Hostettler Dental AG hat eine Frästechnik entwickelt und patentiert, welche es erlaubt, Dimensionen von Retainern bis 0,48 mm herzustellen. Vor etwa vier Jahren haben wir als erstes Labor, in Zusammenarbeit mit der Firma Hostettler, angefangen, diese Retainer in grossen Serien einzusetzen. Heute sind CAD/CAM-Retainer bei vielen Behandlern Standard geworden und nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile wurden von uns nahezu 6000 Retainer geplant und fertiggestellt – Tendenz steigend.

ZZS: Zu guter Letzt: Was glauben Sie, wie sich die KFO in den nächsten Jahren entwickeln wird?
orthomeier: Die digitalen Prozesse werden sich weiterhin rasant verändern. Junge Behandler werden nur noch digital unterwegs sein. Es ist wichtig und auch eine grosse Herausforderung der Weiterentwicklung Folge zu leisten. Am Ball bleiben und Ideen einbringen muss unsere Aufgabe sein. Sicherlich werden wir auch weiterhin alle möglichen Behandlungsgeräte in Handarbeit herstellen, wie lange noch kann man nicht voraussagen. Viele Herstellungsverfahren sind jetzt schon einfacher geworden und neue Möglichkeiten für die Behandler werden sich ergeben. Wir sind überzeugt, dass die Digitalisierung sich nicht tröpfchenweise, sondern eher lawinenhaft entwickelt.

ZZS: Vielen Dank für diesen Einblick in Ihr Labor und die vielfältigen digitalen Möglichkeiten.

www.orthomeier.ch