Die ZZS zu Besuch in den Zahnmedizinischen Kliniken Bern (zmk bern)
Nun geht es aber zu den ZMK. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz und gehört gemäss Bauinventar der Stadt Bern ‹zu den besten Berner Bauten der Fünfzigerjahre›. Was mir an diesem klassischen Bau sofort auffällt ist das, was davorsteht: die vielen Velos beim Eingang! Wie schön, Bern die sportliche Uni, ist mein erster Eindruck! Und hoch geht’s die Treppe in den zweiten Stock, wo ich mich mit meinen heutigen Interview-
partnern verabredet habe.
Die Velos vor den Zahnmedizinischen Kliniken Bern.
Bern by bike?
Im Vorfeld habe ich mit Kinderzahnärztin Dr. Joëlle Dulla gemailt. Sie hat für mich ein Programm zusammengestellt, auf das ich mich freue. Als ich von ihr, Dr. med. dent. Manrique Fonseca, Prof. Burak Yilmaz und ZT Alex Bassermann begrüsst werde, muss ich natürlich gleich nachfragen, ob jemand von ihnen mit dem Bike zur Arbeit gekommen ist. Fonseca meint: «Selbstverständlich!», die anderen meinen lachend sie seien hier die Zugfahrer und nehmen mich gleich mit ins Nebengebäude, dem Schweizer Zentrum für Translationsmedizin. Es ist das neue Forschungs- und Entwicklungszentrum auf dem Berner Insel-Areal. Der lichtdurchflutete moderne Neubau aus 2019 wird von Ingenieuren, Medizinern und eben auch Zahnmedizinern für die Forschung genutzt.Da ist auch der Arbeitsplatz von Prof. Yilmaz. Zuerst aber gibt’s gleich einen Fototermin. Denn das Licht für Selfies sei hier im Neubau besser, schmunzeln die Berner, also knipsen wir gleich mal los.
Deutschkurs und Studien
Nach der Selfie-Session bleiben der Professor und ich zurück, die anderen kehren wieder ins Hauptgebäude zurück, wo ich sie später treffe. Yilmaz ist vor einem Jahr nach Bern gekommen. Davor lehrte er ein Jahrzehnt an der Universität von Ohio (USA). Während dem Kaffeeholen erzählt er mir von seiner Mittagspause. Diese verbringt der Prothetiker nämlich jeden Tag im Deutschkurs! Sein Deutsch müsse unbedingt besser werden, damit er wieder Patienten sehen kann, gesteht er mir. Ich finde Yilmaz’ Deutsch recht gut, aber irgendwie bleiben wir beim Englisch. Und so erklärt er, dass ihm Bern gefalle und sein erstes Jahr hier sehr produktiv gewesen sei: «Im letzten Jahr konnten wir viele Studien publizieren. In der letzten Studie ging es um Implantatsuprastrukturen für ganze Kiefer. Zusammengefasst konnten wir darin aufzeigen, dass die Passgenauigkeit von Suprastrukturen aus Kunststoff genauer sind als solche aus Titan. Das liegt vielleicht daran, dass Metall schwieriger zu fräsen ist. Da sind wir aber noch auf einem ganz neuen Gebiet, wo wir Langzeitergebnisse brauchen. Denn Kunststoff ist ja Plastik, das muss man auf längere Sicht beobachten.»
Ökobilanz und Forschung
Damit meint Yilmaz die Langlebigkeit aber auch Biokompatibilität. Mich interessiert da natürlich noch ein anderer Punkt, wenn es um Plastik geht, nämlich der Umweltschutz. Ich frage den Professor wie er über den Sondermüll denkt, den die Zahnmedizin-Branche produziert, wie die Ökobilanz verbessert werden kann:
«Ja da muss etwas getan werden. Dieser Abfall ist gefährlich für unsere Umwelt und die Entsorgung ist nicht klar geregelt. Gerade beim Fräsen entsteht viel Abfall. Aus einem Zirkonblock kann man zehn Kronen produzieren. Die andere Hälfte wandert in den Müll. Beim Drucken gibt es da etwas weniger Abfall, aber man sollte sorgsam sein. Und an die Umwelt denken. Da Zirkon das stärkere Material ist, beschäftigt sich die Forschung auch damit, Zirkon zu printen.» Dem kann ich nur zustimmen, die Entsorgung von Metallen ist ja in der Schweiz geregelt, nun braucht es Richtlinien für die neuen dentalen Werkstoffe denke ich, während wir durchs helle riesige Treppenhaus laufen.
Bern oder Ohio? Bern!
Ich frage Professor Yilmaz, wo er denn lieber zum Zahnarzt würde, in der Schweiz oder in den USA? Die Antwort kommt blitzschnell: «In der Schweiz! In der Schweizer Zahnmedizin geht es darum, den Zahn zu erhalten. In den USA werden schnell mal vier Implantate gesetzt mit dem Hollywoodsmile-Versprechen. Das ist ein kulturelle Sache, und die Patienten kommen schon mit diesem konkreten Wunsch zum Zahnarzt. Da wird man manchmal als Behandler praktisch gezwungen etwas zu tun, das man aus klinischer Sicht nicht unbedingt so handhaben würde.».
Die Jungfrau in der Ferne
Yilmaz zeigt mir seinen Arbeitsplatz. Die fünf Labors der ZMK sind in diesem sitem-insel-Gebäude untergebracht. Wir betreten ein geräumiges Forschungslabor, mit bodentiefen Fenstern und Sicht auf Bern und bei schönem Wetter sieht man sogar in der Ferne die Jungfrau! Kein Wunder lächeln die Laboranntinnen, die hier sind, so herzlich. Trotz der Aussicht wird konzentriert gearbeitet, z. B. beim Experiment, wie Kronen auf 50° Temperaturunterschiede reagieren, wieviel Stress und Krafteinwirkung eine Implantatkrone respektive das Abutment aushält, oder wie die optimale Schraubenlänge eines Implantates sein soll.
AC/DC in der Werkstatt
Von der Forschung und der Aussicht geht es jetzt zur Werkstatt und Angus Young. AC/DC dröhnt nämlich laut aus den Lautsprechern. Wir sind in der Werkstatt bei Urs Rohrer. Mir kommt es vor wie bei Q in James Bond. Alles ist hier möglich. Geht nicht, gibt es nicht. Fehlt Jemanden die kleinste Schraube, wird sie hier reproduziert. Rohrer und sein Polymechaniker-Team konstruieren alles nach. Jetzt zum Beispiel stellen sie für Yilmaz Bürstenhalter her, welche sein Team für einen Forschungs-Test mit Zahnbürsten benötigt.
Schichten gerne Keramik. Zahntechniker im Labor.
Teamwork und Workflow
Nun gesellt sich Zahntechniker Alex Bassermann zu uns. Mit ihm geht die Reportage weiter ins Zahntechnische Labor. Die ZMK beschäftigen hier sechs Mitarbeiter. Es wird emsig geschliffen und geschichtet. Und während Bassermann den Computer startet, kommt eine Zahnärztin ins Labor und fragt nett, ob er eventuell Zeit und Lust hätte, eine Implantatkrone auf nächste Woche zu machen? Ich finde es immer schön, wenn der Techniker/die Technikerin in die Terminplanung einbezogen wird. Auch Bassermann scheint das zu schätzen, er stimmt dem Auftrag zu. Unterdessen läuft der Bildschirm «Ich bin ein großer Fan der Digitalisierung in der Zahntechnik, da bin ich hier an der ZMK am richtigen Ort», sagt der 40-Jährige, dem man die Begeisterung für den Beruf ansieht.
«Komplexe Fälle digital zu lösen und zu dokumentieren – hier wachsen wir stetig. Wichtig ist der Austausch zwischen Behandler und Zahntechniker, so bekommt man ein optimales Ergebnis», sagt Bassermann. Der Facehunter in Verbindung mit dem PlaneSystem habe ein hohes Potenzial für die Zahnheilkunde, meint er und nimmt mich gleich mit zur Demonstration ins hausinterne Fotostudio.
Zahntechniker Bassermann demonstriert den Face-Scan.
Face-Scan im Fotostudio
Die Zahntechnikerkollegin kommt gleich mit, sie wird Modell stehen. Dafür muss sie sich an einer bestimmten Stelle positionieren. Die Kieferebene wird ausgemessen und mit einem Stift eingezeichnet.
«Der Face-Scan liefert detaillierte Informationen über die Lage des Oberkiefers, Neigung der rechten und linken Okklusionsebenen, Bissposition, Kauflächengestaltung und Aufstellung der Zähne, damit kann die Zahnrestauration exakt auf die Gesichtsphysiognomie des Patienten ausgerichtet werden, oft sitzt die Erstanprobe schon perfekt. Fehler, wie sie bei konventionellen, analogen Übertragungsbögen vorhanden sein können, sind ausgeschlossen, da das Gesicht dreidimensional gescannt wird» erklärt Bassermann den Vorgang.
Back to the Future?
Bassermann ist ganz offensichtlich ein grosser Fan der Digitalisierung. Aber bei der Abformung bevorzugt er die klassische Methode: «Einzelkronen fertigen wir oft anhand eines Oral Scans. Grössere Implantatabformungen verblocken wir primär über einen Kunststoffsteg im Mund und formen konventionell ab. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.» Von der Zahntechnik geht’s jetzt zur Zahnmedizin.
Effizienz für und am Patienten
Dr. med. dent. Manrique Fonseca ist Oberarzt und leitet das 5. Studienjahr der RekGero. «Das Klima an der ZMK Bern ist sehr familiär. Wir sind 314 Mitarbeitende, 55 in der Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin und Gerodontologie. Man kennt sich untereinander. Bei komplexen Fällen arbeiten wir gerne gemeinsam unter den verschiedenen Kliniken. Das ist ein Mehrwert für die Patienten, anderseits sehr effektiv und spannend.»
In den Gängen begegnen wir einer Gruppe Assistenten und Oberärzten, es wird freundlich gegrüsst. Fonseca zeigt mir die Behandlungsräume, die neuen roten Behandlungsstühle und erläutert den Aufbau der Klinik: «Früher waren die Abteilung für Kronen-Brücken prothetik und Klinik für Prothetik getrennt. Jetzt sind beide Fachgebiete räumlich zusammengefügt. Somit decken wir abnehmbare und festsitzende Prothetik, Gerodontologie, prothetische Implantologie und Materialkunde, sowie Myoarthropathien ab. So können wir noch effektiver für und am Patienten arbeiten, alle Fachkräfte sind durch Planung bei Benötigung anwesend.“
Weiter geht es zum Studentenkurs. Ein heller Saal in der Grösse einer Turnhalle. Hier sind die Studierenden gerade fleissig am Üben an den Dummys. «Wir legen grossen Wert auf eine gute Ausbildung unserer Studenten. Alle Kliniken arbeiten als ein Team für die Organisation der Kurse und Patientenrekrutierung für unsere Studenten», sagt Fonsceca und wischt einem Dummy etwas Wasser aus dem Gesicht, damit ich ein Foto machen kann.
Emsiges Lernen beim Studentenkurs – ausgestattet mit modernstem Equipment.
Freude und Funktionalität
Die Zahnmedizin mache ihm jeden Tag grosse Freude, er habe für sich den richtigen Beruf gewählt, sagt Fonseca: «Jeder Fall ist anders und die Herausforderung besteht darin für jeden Patienten die bestmögliche Lösung zu finden. An meinem Beruf gefällt mir besonders, dass man den Patienten ein Stück Lebensqualität zurückgeben kann. Nicht nur in Bezug auf eine bessere Funktionalität, sondern auch was die Ästhetik anbelangt. Zähne machen Leute! Plötzlich getrauen sich die Leute wieder zu lachen. Das macht mir jeden Tag Freude.»
Diese Begeisterung teilt er mit Dr. med. dent Joëlle Dulla, der leitenden Oberärztin in der Kinderzahnmedizin. Zum Abschluss meiner heutigen Tour nimmt mich die Ostschweizerin mit in ihren Berner Uni-Tag. Und vorneweg, wenn ich eine Kinderärztin oder Kinderzahnärztin beschreiben müsste, würde sie wohl genauso wie Joëlle Dulla aussehen. Herzlich, empathisch, mit einem grossen Strahlen im Gesicht.
Bunte Wände und Tränen
Sie zeigt mir ihren Arbeitsplatz und nach kurzer Anfrage bei Patient und Mutter, dürfen wir bei Kollegin Dr. med. dent Corina Moser, die gerade einen jungen Patienten behandelt, reinschauen. Der Bub findet es lässig, dass ich da bin, er trägt eine Schutzbrille und hat die Kopfhörer auf. In der Kinderzahnmedizin sind die Wände bunt, überall hängen lustige Zeichnungen. Der Grund weshalb Kinder hier sind, ist aber meist nicht fröhlich, nicht alle sind so gut gelaunt wie der junge Bub auf dem Stuhl: «Hauptsächlich kommen Kinder mit Karies zu uns. Bereits unter Zweijährige sind wegen mangelhafter Mundhygiene (kein Putzen oder fehlendes Nachputzen, keine fluoridhaltige Zahnpasta) in Kombination mit Stillen/Schöppelen oder den uns wohl bekannten Kinderfruchtsäften ‘Quetschies’ davon betroffen», erklärt Dulla und führt aus: «Die Kinderabteilung der ZMK ist eine Überweiser-Klinik, wir sehen hier viele schwierige Kinder (sehr junge, ängstliche oder einfach unkooperative Kinder) oder auch Kinder mit komplexen Behandlungsplanungen. Wir haben eine tolle Zusammenarbeit mit den internen Abteilungen, u. a. der Oralchirurgie & Stomatologie und der Kieferorthopädie und wir arbeiten auch eng mit dem Kinderspital zusammen. Unsere jüngsten Patienten sind Neugeborene aus dem Kinderspital, die bereits Zähne haben. Ja, auch das gibt’s.»
Ich frage sie, ob denn das Thema Flaschenkaries mittlerweile nicht überall angekommen sei. «Im Gegenteil», antwortet die Kinderzahnärztin. „Wir können nicht sagen, dass es weniger Kariesfälle bei Kindern gibt, im Gegenteil, mein Team und ich beobachten da eher einen Anstieg. Wir sehen hier Zwei- und Dreijährige mit Belag und Karies. Schlimme Fälle müssen wir unter Vollnarkose behandeln.»
Dulla hat selber einen zweijährigen Sohn und kombiniert Familienleben mit dem Arbeiten hier an der Uni und der Privatpraxis, die sie mit ihrem Mann in Lausanne führt.
Engagiert im Einsatz für die Kleinsten in der Kinderzahnklinik.
Es war der richtige Weg
Auf der Kinderzahnmedizin zu arbeiten ist ein taffer Job, denke ich. Dass sie mal hier arbeiten würde, damit hatte Dulla gar nicht gerechnet, das habe sich so zusammengefügt. Vermutlich sei sie einfach ihrem Bruder gefolgt, der auch Zahnarzt wurde, meint sie lachend. Heute ist sie froh, dass sie diesen Weg eingeschlagen hat.
Und doch räumt sie ein: «Es ist nicht immer einfach mit Kindern zu arbeiten. Kinder kommen teilweise mit Schmerzen zu uns und haben Angst. Oftmals können wir Kinder in Sedation (Dormicum, Lachgas) behandeln und dadurch eine Vollnarkose umgehen. Dies ist aber leider nicht immer möglich. Die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) ist auch ein grosses Thema. Ungefähr jedes 10. Kind ist davon betroffen. Und die, die ausgeprägte MIH haben, leiden. Die Stockzähne können trotz Anästhesie überempfindlich bleiben. Das sind schon sehr anspruchsvolle Behandlungen. Da komme es auch vor, dass Kinder auf dem Stuhl weinen», ergänzt Dulla.
Teamspirit und Milchzähne
Da ist es natürlich besonders wichtig, ein gutes Team zu haben. Dulla’s Assistentinnen sind seit Jahrzehnten hier in der Kinderzahnmedizin Bern im Einsatz. Man kann sagen, sie haben alles gesehen. Und setzen sich jeden Tag aufs Neue für die Mundgesundheit der Kleinsten ein. Klären die Eltern auf. Auch wenn es leider solche gibt, die immer wieder bei ihnen landen. Ihr Wunsch: dass das Thema Milchzahn-Karies (noch) besser thematisiert wird. Bereits Kinderärzte oder Hebammen sollten damit anfangen, junge Eltern darauf zu sensibilisieren, denn so meint Dulla: «Das Schulzahn-Prophylaxe-Programm startet im Kindergarten, also bei den etwa 4- bis-5-jährigen Kindern. Unsere Patienten sind aber oftmals jünger. Grundsätzlich heisst es, sobald der erste Milchzahn durchbricht, soll mit fluoridhaltiger Zahnpasta geputzt werden, sonst kann Karies entstehen. Kinder sind motorisch bis zu einem gewissen Alter zu wenig geschickt, um die Zähne selbst zu reinigen, da liegt die Verantwortung bei den Eltern, man muss unbedingt nachkontrollieren und nachputzen.»
Wir haben jetzt viel von der anspruchsvollen Seite ihres Berufes gesehen, sage ich Kinderzahnärztin Dulla zum Abschied, was ist denn das Positive? «Was mir am Uni-Alltag besonders Freude bereitet sind fröhliche, lachende Kinder, dankbare Eltern, zu wissen, dass wir jeden Tag was Gutes tun und durch unsere Behandlung den Kindern geholfen wird.» Das ist doch ein schöner Schlusssatz! Den und die vielen spannenden Eindrücke von diesem Morgen an der ZMK, nehme ich mit auf den Heimweg. Adiöö Bärn!
Fazit
Jetzt habe ich mit meiner Tour de Suisse alle vier Zahnmedizinischen Universitäten der Schweiz gesehen und darüber geschrieben. Fazit, es hat viele Gemeinsamkeiten, wie natürlich die Lehre. Und doch ist jede Uni anders! Geprägt von den Menschen, die dort arbeiten und für das Arbeitsklima sorgen. Ich hoffe, ich konnte diese Persönlichkeiten, ihren Arbeitstag, ihre Alma Mater den LeserInnen mit meinen Reportagen näherbringen.
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