24. Juni 2023

«Wir müssen MedizinerInnen der oralen Medizin werden»

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Marion Gredig

Rony Jung, Du musst heute definieren, was morgen sein wird. Wie wird sich Deiner Meinung nach der Beruf des Zahnarztes verändern? Durch die Digitalisierung hat sich schon viel getan. Was kommt noch?
Ronald Jung: Ich glaube es gibt noch viel grössere Veränderungen, die einen Einfluss auf unseren Beruf haben. So finden in verschiedenen Fachbereichen der Zahnmedizin Planungen von zahnärztlichen Behandlungen zentralisiert statt und nicht mehr in der Privatpraxis. So werden gewisse «smile-designs» oder Implantat-Planungen oder kieferorthopädische Behandlungen zentral in Daten-Zentren mit Hilfe von «artificial intelligence” (AI) geplant und der Zahnärztin oder dem Zahnarzt zur Verfügung gestellt.
Auch für die Daten-Akquisition werden Veränderungen stattfinden. In Zukunft wird man in ein Scan-Center gehen, dafür braucht es keine ärztliche Betreuung. Die Daten werden zentral verarbeitet, dort braucht es Fachpersonal. Unterstützt durch AI-Programme wird dann auch Diagnostik betrieben. In der Humanmedizin haben diese AI basierten diagnostischen Massnahmen, zum Beispiel in der Brustkrebs-Diagnostik, stark zugenommen. In dieser ganzen Situation wird es wahrscheinlich wenig Zahnarzt-Kontakt geben.
Und da stellt sich ja dann die Frage, wieviel ist der Patient oder die Patientin noch in der Praxis? Für ein Digitales Volumentomogramm? Sofern es das dann noch gibt. Die heutige Tendenz geht dahin, dass man ohne Röntgenstrahlen Bilder macht, auch vom Knochen, mit Ultraschall. Das heisst, man kann alles extern machen. Den Facial Scan mit dem Handy. Damit funktioniert sogar eine Art Intraoralscan. Es braucht die ZahnmedizinerInnen also gar nicht mehr für die Daten-Akquisition.
Der persönliche Teil, der bleibt immer persönlich. Die Beratung, das Definieren wohin die Reise gehen soll. Diese Dinge kann die Daten-Akquisition und die AI-Diagnostik nicht. Ich denke, die Zeit mit dem Patienten auf dem Stuhl verändert sich. Die Zahnärztinnen und Zahnärzte werden «medizinischere» Behandlungen durchführen und vermehrt auch vor dem Computer sitzen. Das ist das eine.

Und das andere?
Ronald Jung: Der zweite Teil ist die Automatisierung. Wir haben immer noch den Anspruch, dass wir alle Zähne selbst präparieren. Da sind wir in der Zahnmedizin noch weit hinterher. Weil die ZahnmedizinerInnen Angst haben ihren Beruf zu verlieren. Aber hier wird, wie in vielen anderen Gebieten auch, zum Beispiel der Fliegerei, die Automatisierung, die Robotics Einzug halten.

Werden in Zukunft weniger Zahnärztinnen und Zahnärzte benötigt?
Ronald Jung: Das ist eine spannende Frage. Ich bin überzeugt, dass wenn wir mit der Zukunft mitgehen und nicht stehen bleiben, wird es nicht weniger Zahnärzte und Zahnärztinnen brauchen. Ich glaube aber für die Arbeiten, so wie wir sie heute kennen, wird es weniger ZahnmedizinerInnen brauchen. Jetzt können wir das akzeptieren und sagen das Berufsbild ändert sind. Oder wir sehen es als Chance. Chance heisst, dass wir deutlich medizinischer werden müssen und damit aufhören, nur ZahnmedizinerInnen zu sein. Sondern wir müssen MedizinerInnen der oralen Medizin sein. Den ganzen Mund miteinbeziehen und Verantwortung übernehmen. Der Speichel wurde bis anhin maximal unterschätzt, ist aber das moderne Blut mit einer enormen Wichtigkeit. Wir haben das bei der ganzen COVID-Diagnostika festgestellt. Wem gehört der Speichel von den medizinischen Fachrichtungen? Das könnte unsere mega Chance sein, uns zu etablieren. Der technische Teil, der wird reduziert, aber der medizinische, der diagnostische Teil, der wird zunehmen. Und ich behaupte heute, das ist die Chance, sich als ZahnmedizinerIn in der Zukunft zu etablieren.

Du sprichst nicht nur von der Speicheldiagnostik zur Erkennung von Karies. Was ist noch möglich?
Ronald Jung: Es gibt heute Studien, die zeigen, dass aufgrund der Speicheldiagnostik Brustkrebs 100 Tage früher erkannt werden kann als mit den traditionellen Diagnostika. 100 Tage in der Onkologie sind enorm.

Die Zahnmedizin bekommt einen anderen Stellenwert?
Ronald Jung: Das ist so. Man kann jetzt traurig sein, dass sich der Beruf verändert, aber ich glaube, es ist eine grosse Chance und die Zahnmedizin bekommt eine ganz andere Relevanz. Man sieht das auch daran, wie sich der Markt und die grossen Firmen ausrichten. Die verkaufen nicht mehr Zähne oder Implantate, es geht um Oral Health. Für mich ist klar, da liegt die Zukunft unseres Berufes.

Sehr spannende Zukunftsaussichten, danke für die Einblicke.

www.zzm.uzh.ch

Den Podcast mit Prof.Dr. Ronald E. Jung, Direktor Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin ZZM, Universität Zürich ist zu hören auf: www.swissdentalnews.com/podcast

Redaktion und Moderation: Marion Gredig, Zahntechnikerin und Fachjournalistin Swissdentalnews.com