19. Aug. 2024Eine aktuelle Einschätzung von Prof. Dr. Christoph Ramseier

Der Nutzen von KI in der Parodontologie

Wir haben von Prof. Dr. Christoph Ramseier in der ZZS April mehr über die Zusammenarbeit zwischen Fachzahnärztinnen, Zahnärztinnen, Dentalhygienikerinnen HF und Prophylaxe-Assistentinnen SSO erfahren. Heute geht es um die Frage, inwieweit künstliche Intelligenz (KI) in der parodontologischen Behandlung, Diagnostik und Ausbildung effektiv eingesetzt werden kann.

KI - Ramseier 1
parodontalstatus.ch
1) Eine KI kann heute mit Parodontalstaten vor und nach der Initialtherapie so trainiert werden, dass künftig Therapieergebnisse für Patienten individuell besser vorhergesagt werden können. Blau: Ergebnis nach der Initialtherapie, Grün: Anfangsbefund.

Haben Sie eine Vision, wie die künstliche Intelligenz in der Parodontologie helfen kann?
Ramseier: Meine Vision ist, dass künstliche Intelligenz die Parodontologie revolutionieren wird, indem sie präzise Diagnosen und personalisierte Behandlungspläne ermöglicht. KI kann dabei helfen, grosse Datenmengen schnell und genau zu analysieren, was auch zur Früherkennung von Parodontalerkrankungen führen kann. Dies wiederum kann zu besseren Behandlungsergebnissen und einer insgesamt verbesserten Mundgesundheit beitragen. Langfristig könnte die KI auch dazu beitragen, die Prävention zu stärken und die Patientenzufriedenheit zu erhöhen. Darüber hinaus eröffnet die KI neue Möglichkeiten in der Forschung und ermöglicht innovative Ansätze für die Behandlung und Langzeitbetreuung.

KI in der Behandlungsplanung

Wie kann KI bei der Behandlungsplanung helfen?
Ramseier: Sie helfen, indem sie umfassende Analysen von Patientendaten durchführt und auf Grundlage dieser Analysen personalisierte Behandlungspläne erstellt. Algorithmen können Muster und Trends in den Daten erkennen, die menschlichen Fachleuten möglicherweise entgehen. So lassen sich genauere Vorhersagen über den Krankheitsverlauf treffen und die besten Behandlungsoptionen vorschlagen. KI kann auch den Zeitaufwand für die Erstellung von Behandlungsplänen verringern und so die Arbeitsabläufe in der Praxis effizienter gestalten. Dies führt zu einer besseren Nutzung der Ressourcen und idealerweise auch zu optimierten Behandlungsergebnissen.

parostatus Interview Ramseier 2
parodontalstatus.ch

2) Mundhygiene- und Entzündungsbefund im Recall (Termin 1).

Parostatus Interview 3
parodontalstatus.ch

3) Mundhygiene- und Entzündungsbefund im Recall (Termin 2). Der Vergleich mit dem Termin 1 stellt in vielen Fällen eine Herausforderung dar.

Parostatus Interview 4
parodontalstatus.ch

4) Die Befunde von Termin 1 und Termin 2 werden übereinandergelegt. Ein Vergleich der beiden Befunde ist nun einfacher und wiederholt unzureichend gereinigte bzw. entzündete Bereiche werden besser sichtbar. Eine KI kann heute so trainiert werden, dass auch kleine Veränderungen der parodontalen Stabilität besser erkannt und dargestellt werden.

Arbeitet KI zuverlässiger als der Zahnarzt?

Auf Kongressen wurden bereits verschiedene KI-unterstützte Tools für die Diagnostik vorgestellt. Kann die KI heute Probleme früher und zuverlässiger erkennen als erfahrene Zahnärzte?
Ramseier: KI-gestützte Tools haben das Potenzial, Probleme früher und zuverlässiger zu erkennen als erfahrene Zahnärzte. Diese Systeme können enorme Datenmengen analysieren und Muster erkennen, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. Studien haben gezeigt, dass KI in bestimmten Fällen eine höhere Genauigkeit bei der Diagnostik erreichen kann. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die künstliche Intelligenz derzeit als Ergänzung zu den menschlichen Fachkräften gedacht ist, nicht als deren Ersatz. Die Kombination aus menschlicher Erfahrung und KI-Technologie bietet daher die besten Ergebnisse für die Patientenversorgung.

Wie lassen sich wissenschaftliche Auswertungen mit KI verbessern?
Ramseier: Wissenschaftliche Analysen können durch den Einsatz von KI erheblich verbessert werden. KI-Algorithmen können insbesondere sehr grosse Datenmengen in kurzer Zeit analysieren und hochkomplexe Muster und Zusammenhänge erkennen. Dies ermöglicht mittel- und langfristig die Erarbeitung von präziseren Forschungsergebnissen. KI kann auch dazu beitragen, Bias (menschliche Vorzüge) in der Forschung zu verringern und objektivere Ergebnisse zu liefern. Durch die Automatisierung von Routineaufgaben können sich die Wissenschaftler zudem auf die Interpretation und Anwendung ihrer Daten konzentrieren, was die Qualität und Relevanz der Forschung erhöht.

KI-Konzepte in der Parodontologie

Wie können praxisrelevante KI-Konzepte in der Parodontalbetreuung umgesetzt werden?
Ramseier: Praxisrelevante KI-Konzepte können in der Parodontalbehandlung durch die Integration von KI-basierten Diagnosetools und Behandlungsplanungssoftware umgesetzt werden. Solche Tools können Zahnärzten helfen, genauere Diagnosen zu stellen und individuelle Behandlungspläne zu entwickeln. KI kann auch die parodontale Langzeitbetreuung unterstützen, indem sie kontinuierlich Daten sammelt und analysiert, um frühe Anzeichen einer Verschlechterung zu erkennen. Schulungen und Weiterbildungen für das Praxisteam sind zum gegebenen Zeitpunkt ebenfalls wichtig, um sicherzustellen, dass das gesamte zahnmedizinische Praxisteam die neuen Technologien effektiv nutzen kann.

Parostatus Interview KI 5
parodontalstatus.ch

5) Neue digitale Methoden ermöglichen auch dreidimensionale Visualisierungen des Parodontalstatus. Künstliche Intelligenz ist heute auch in der Lage, Veränderungen im dreidimensionalen Raum auszuwerten und frühzeitig zu erkennen.

Recall-Intervall KI Ramseier 6
perio-tools.ch/upt

6) Die Wahl des Recall-Intervalls kann heute via Algorithmus erfolgen. Zukünftige künstliche Intelligenz kann die Empfehlungen noch weiter optimieren und personalisieren. Entscheidend bleibt, dass die letzte Entscheidung über das gewählte Intervall von einem Menschen getroffen und in das Formular eingetragen wird.

KI in der Ausbildung

Wie kann die KI in der Ausbildung helfen?
Ramseier: KI kann bei der Ausbildung helfen, indem sie interaktive Lernplattformen und Simulationsprogramme bereitstellt. Diese Technologien ermöglichen es den Auszubildenden, praktische Fertigkeiten in einer kontrollierten und risikofreien Umgebung zu erlernen. KI-gesteuerte Systeme können weiter personalisiertes Feedback geben und den Lernfortschritt überwachen, was zu einer effektiveren und individuelleren Ausbildung führt. Darüber hinaus könnten durch den Einsatz virtueller Patienten verschiedene Szenarien durchgespielt und unterschiedliche Behandlungsmethoden erprobt werden.

Gibt es die dafür nötigen Budgets in den Schulen?
Ramseier: Die Verfügbarkeit der notwendigen Budgets für den Einsatz von KI in Schulen ist sehr unterschiedlich. Während international betrachtet einige Bildungseinrichtungen bereits in fortschrittliche Technologien investieren, fehlt es anderen an den nötigen finanziellen Ressourcen. Es wäre gegenwärtig eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Bildungsministerien, Forschungsorganisationen und privaten Sponsoren erforderlich, um die notwendigen Mittel bereitzustellen. Darüber hinaus könnten staatliche Förderprogramme und öffentliche Mittel genutzt werden, um den Einsatz von KI im Bildungswesen zu unterstützen und zu verbreiten.

Erfahrungen mit KI in der Ausbildung

Gibt es Erkenntnisse darüber, wie gut die Ausbildung mithilfe von KI funktioniert?
Ramseier: Es gibt zunehmend positive Erkenntnisse darüber, wie gut die Ausbildung mit Hilfe von KI funktioniert. Studien in anderen Fachrichtungen zeigen, dass Lernende durch den zusätzlichen Einsatz von KI-gestützten Tools bessere Lernergebnisse erzielen und praxisorientierte Fähigkeiten effektiver entwickeln. Die durch KI ermöglichten interaktiven und adaptiven Lernmethoden tragen dazu bei, das Verständnis und die Anwendung von theoretischem Wissen zu verbessern. Es wären jedoch weitere Langzeitstudien erforderlich, um die langfristigen Auswirkungen und die Wirksamkeit dieser Schulungsmethoden umfassend zu bewerten.

Blick in unsere Zukunft mit KI

Gibt es gesundheitspolitische Visionen, die Sie beschäftigen? Vielleicht in Hinblick auf die Interprofessionalität?
Ramseier: Eine gesundheitspolitische Vision, die mich beschäftigt, ist die Förderung der Interprofessionalität in der Schweizer Zahnarztpraxis. Die Zusammenarbeit zwischen allen zahnmedizinischen Berufen, unterstützt durch KI und weitere digitale Technologien, könnte die Qualität der Patientenversorgung verbessern. Durch den Austausch von Informationen und den Einsatz von KI-basierten Tools könnten alle Berufsgruppen effizienter zusammenarbeiten. Dies würde zu einer ganzheitlicheren Versorgung aller Patienten und zu besseren Gesundheitsergebnissen führen. Darüber hinaus könnte die Integration von KI in interprofessionelle Teams auch – und erst visionär – neue Massstäbe für die Behandlung und Prävention von Krankheiten setzen.

Prof. Dr. Christoph Ramseier
Ramseier

Prof. Dr. Christoph A. Ramseier
zmk bern, Klinik für Parodontologie
christoph.ramseier@unibe.ch
www.zmk.unibe.ch