20. Feb. 2025«Vom Putz- und Serviceroboter zur Idee des IAD»

Praxis Connect – mit dem Institut für angewandte Dentronik

«Herzlich willkommen im IAD» – mit diesen Worten begrüsste Dr. Thomas Müller am 24. Januar 2025 knapp 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur ersten öffentlichen Veranstaltung vom Institut für angewandte Dentronik. «Wir sind überbucht, aber überglücklich, dass unsere Vision so gut ankommt.»

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Die Gründer vom IAD: Dr. Felix Gamper, Dr. Thomas Müller und Remo Capobianco (von links).

Der Urknall für das IAD erfolgte im Mai 2023 während eines gemeinsamen Ausflugs zu einem Robotik-Experten in der Innerschweiz. Beim Zwischenstopp auf dem Bürgenstock kamen die drei heutigen Geschäftsführer – Dr. Thomas Müller, Remo Capobianco und Dr. Felix Gamper – zu einer entscheidenden Erkenntnis: Es fehlt eine Institution, die sich gezielt und praxisnah mit Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Robotik in der Zahnmedizin beschäftigt – von Zahnärzten für Zahnärzte. Es blieb nicht bei der Erkenntnis, sondern es wurde an einem Konzept gefeilt. Dieses wurde nun in Bern erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Anwesend waren neben Zahnärztinnen und Zahnärzten auch Personen aus angrenzenden Fachgebieten, Fachexperten aus dem Bereich der Dentronik und viele mehr. Der Begriff «Dentronik» ist übrigens keine Erfindung, sondern findet sich auch in der Literatur. Er steht für: Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Robotik in der Zahnheilkunde.

IAD als Brückenbauer

Das IAD sieht seine Position als Brückenbauer zwischen den digitalen Anbietern und den Zahnarztpraxen. Denn es gibt sehr viele spannende Technologien und viele Zahnärzte, die diese Technologien gerne nutzen würden. Viele stehen aber vor bürokratischen und organisatorischen Herausforderungen und wissen nicht, wo oder wie sie konkret anfangen sollen. Auch die Frage, was passt am besten zu meiner Praxis und meiner Strategie, wie kann ich neue Prozesse umsetzen und welche Auswirkungen hat das auf mein Team, soll mit Hilfe analysiert werden.
Das Institut für angewandte Dentronik bietet Coaching und eine Academy an, um Wissen zu vermitteln und den Praxen unter die Arme zu greifen. In den IAD-Clinic-Labs werden neue Technologien getestet und nach einem definierten Raster bewertet. Damit soll dem Endanwender die Orientierung und Entscheidung für eine Technologie erleichtert werden. Ziel ist die erfolgreiche Implementierung der Technologie in die Praxis. Auch Grundlagenforschung ist am IAD geplant - wenn eine Anwendung praxisreif ist, soll sie in die Anwendung überführt werden.

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Carmen Bornfleth

Dr. Thomas Müller stellte die vier Säulen des Institut für angewandte Dentronik vor.

Der Wandel durch neue Technologien

Drei Referenten und eine Paneldiskussion waren für die Auftaktveranstaltung angekündigt. Den Anfang machte Prof. Dr. Andrea Belliger. Die Schweizer Hochschullehrerin ist als Autorin und Expertin für Digitalisierung bekannt.
Ihr Thema: «Digitale Transformation – 10 Gebote für ein vernetztes, kollaboratives Gesundheitswesen».
Prof. Belliger ist begeistert von KI und liebt alles, was mit Technologie zu tun hat. In ihrem Vortrag teilte sie ihre philosophischen Gedanken über Vernetzung und Kooperation in der Praxis. Sie verglich den digitalen Wandel mit einem Baum. Die Wurzeln sind die Vernetzung. Der Stamm darüber definiert die Werte und Ansprüche, wie Empathie, Transparenz, Authentizität, Offenheit und Partizipation. Derzeit werden Technologien noch nach dem Giess-kannenprinzip darüber verteilt.
«Vernetzung ist für mich der Kern der zunehmenden Digitalisierung», so die Referentin. «Das Mindset ändert sich. Der Trend geht heute weg vom System mit klaren Strukturen hin zu Netzwerken!»
In einem Netzwerk sind die Rollen und Funktionen nicht fix, d .h. nicht wer den Titel hat, weiss alles, sondern soziotechnische Strukturen bestimmen massgeblich, wie wir agieren. In einem Netzwerk gibt es keine klaren Grenzen, es ist offen und durchlässig. Es ist essentiell zu wissen, wer mit wem vernetzt ist.
Wichtig: Netzwerke sind nicht hierarchisch – der Trend geht zu selbstorganisierten Teams. Wissen zu teilen ist besser, um an noch mehr Wissen zu kommen – das gilt nicht nur im Beruf. Netzwerke sind komplex, verändern sich ständig und haben ihre eigenen Werte und Normen. Patienten sind heute besser informiert und treten selbstbewusster auf. Prof. Belliger bezeichnet sie als Generation e-Patient: educated, enabled, engaged, electronic, expert, equipped, expressive und empowered!

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Carmen Bornfleth

Prof. Andrea Belliger: «Der Trend geht heute weg vom System mit klaren Strukturen hin zu Netzwerken.»

Zehn Gebote für die digitale Transformation

Das erste Gebot besagt, dass Gesundheit neu definiert werden muss. Die Dichotomie von Gesundheit und Krankheit löst sich auf. Prävention ist ein zentraler Investitionsbereich, in dem neue, branchenfremde Akteure auftreten.
Das zweite Gebot beschreibt, dass die Technologie als Akteur akzeptiert werden muss, denn sie ist nicht als Gefahr, sondern als unverzichtbarer Akteur im Netzwerk zu sehen. Technologieanbieter müssen Verantwortung für Standards, Schnittstellen, Interoperabilität, etc. übernehmen.
Das dritte Gebot stellt den Mehrwert für den Kunden in den Mittelpunkt. Gebot vier steht dafür, dass Offenheit und Transparenz zu Grundwerten des Gesundheitswesens werden. Da geht es um Open Data, Open Source und Open Research. Diese Ansätze müssen eingefordert und breit umgesetzt werden, da es heute noch zu viele geschlossene Systeme gibt. Die nächsten Gebote beziehen sich auf die Reorganisation zum Netzwerk und die Investition in vernetzte Versorgungsmodelle. Die an einer Behandlung beteiligten Akteure sollen gemeinsam Verantwortung für das Behandlungsergebnis übernehmen. Die Arbeit in Kompetenznetzwerken und der Fokus auf Shared Value werden in weiteren Geboten skizziert. Gebot neun geht auf die überbordende Bürokratie ein und fordert modernere Steuerungsmechanismen für Netzwerke. Das zehnte und letzte Gebot fordert den Einzelnen dazu auf, Teil des Ganzen zu sein: Jeder Patient, Bürger, Kunde ist ein Akteur im Netzwerk. Empowerment gelingt durch Information, Kommunikation, Transparenz und Partizipation.

Die Welt hat sich dramatisch verändert

«Wir müssen Daten teilen», davon ist Prof. Belliger überzeugt. «Unsere Welt hat sich dramatisch verändert. Psychische Probleme nehmen zu. Wir haben heute mehr Möglichkeiten als je zuvor, aber wir brauchen Mechanischen, um damit umzugehen. Es braucht «gesunde Führung und gesunde Rahmenbedingungen», damit die Mitarbeitenden in dieser Welt nicht krank werden. Wir können die Welt nicht zurückdrehen. Unsere Hochschulen sind ein System, Schulen auch. Es dauert sehr lange, unsere Gesellschaft zu verändern. Die Welt steht uns heute offen, wir können uns online kostenlos weiterbilden – aber noch zu wenige tun es», damit schloss die erfahrene Referentin ihren spannenden Vortrag ab.

Wie sieht die Zukunft in der Praxis aus?

Nach diesem spannenden Einblick ging es mit dem Referat von Dr. Thomas Müller weiter. Er beschäftigte sich mit der Frage: «Digital, künstlich, intelligent und automatisiert… soll die Zahnmedizin der Zukunft so aussehen?». Die spontane Antwort: «So sollte sie nicht nur aussehen, so ist sie schon! Die Frage muss vielmehr lauten: Wie können wir diese Veränderungen für unsere Patienten und unsere Praxis nutzen?»
Neben der Demografie nehmen Trends in der KI und Robotik, die damit verbundenen Chancen sowie die Automatisierung entscheidenden Einfluss auf den Wandel in der Zahnmedizin. Automatisierung kann Prozesshürden abbauen und Effizienz der Praxen steigern, KI analysiert komplexe Datensätze für präzisere Diagnosen und Behandlungen und innovative KI-Lösungen ermöglichen massgeschneiderte und vorausschauende Versorgungskonzepte. Das Ziel: Kosten senken, Nutzen steigern.
Aktuelle und künftige Herausforderungen werden durch Ressourcen- und Wissensmanagement beeinflusst. Uns steht heute eine enorme Datenflut zur Verfügung. Datenmanagement ist ein zentrales Thema. Man muss aber wissen, welches Tool man wann einsetzen muss. Einen ersten Einblick gab Dr. Müller. Los ging es mit ChatGPT – damit lässt sich der Workflow in der Praxis abbilden. Auch der Sprach-Chatbot Elevenlabs kann als Sparringspartner gute Ergebnisse liefern. Perplexity, Answerthis und Typeset helfen, Wissen zu erfassen, mit Q.Wiki und Notion kann dieses Wissen strukturiert und organisiert werden. Plattformen für kollaboratives Arbeiten wie Napkin, Gamma und NotebookLM helfen, Wissen zu teilen. Solche Werkzeuge werden in späteren Kursen des IAD vertieft.
Dr. Müller schloss mit seinem Fazit ab: «Ich bin davon überzeugt, dass wir durch KI und Automatisierung mehr Qualität, Effizienz und Vertrauen bekommen. Optimierte Abläufe und Prozesse sorgen für mehr Zeit für die Patienten und eine bessere Zusammenarbeit im Team. Das erleben wir täglich bei uns in der Praxis. Das stärkt auch das Vertrauen zwischen Patient und Praxis.»

Prozessmanagement ist Teamsache

Das bereits erwähnte KI-Tool Q.Wiki stellte im Folgenden Dipl. Ing. Burkard Wolkewitz von der Modell Aachen GmbH vor. Er war online zugeschaltet. Bei der Plattform geht es darum, Wissen zu komprimieren. «Es ist unser aller Wunsch: Dokumentation ja, aber bitte mit wenig Aufwand und sehr viel Nutzen.»
Die Idee hinter Q.Wiki: Das Praxiswissen zu teilen, Dokumentation zu vereinfachen und Hürden für die Zusammenarbeit zu minimieren. Es wird eine Art «Spickzettel» für das Praxisteam erstellt, der laufend auf Aktualität überprüft wird. Denn zu viele Handbücher in den Schränken und Schubladen werden heute nicht mehr angerührt. Mit einem gelebten QM-System kann man etwas verändern und verbessern. Der Nutzen für die Praxis wird erhöht und unnötiger Aufwand reduziert. Im Mittelpunkt muss der Mitarbeitende stehen mit der Frage: Welche Informationen werden benötigt und welcher Input ist für welchen Output notwendig. In der Praxis von Dr. Thomas Müller funktioniert das interaktive Managementsystem bereits sehr gut und wird in der gesamten Praxis genutzt.
Beim Einstieg stellen sich meist die Fragen: Wie werden Inhalte gestaltet? Wo fange ich an? Wie kann KI bei der Erstellung neuer Prozesse eingesetzt werden? Wie gebe ich einen Prompt ein? Genau bei solchen Prozessen und der Umsetzung in die eigene Zahnarztpraxis will das Institut für angewandte Dentronik in Zukunft unterstützen.

Apéro und Networking

Nach so viel geballter Wissensvermittlung war es Zeit für den Networking-Apéro, bei dem die Themen bei leckeren Snacks und Getränken weiter diskutiert wurden.


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Text: Carmen Bornfleth