19. Sept. 2025Kolu

Keine Angst: Fehlerkultur statt Fehlerkult

Fehler sind unvermeidlich. Doch wie offen gehen wir wirklich damit um? Viele Führungskräfte betonen, eine Fehlerkultur zu leben – in der Praxis zeigt sich jedoch oft das Gegenteil. Entscheidend ist, ob auch an der Spitze Mut zur Fehlbarkeit gezeigt wird. Barbara Brezovar-Capobianco klärt auf.

Brezovar Right Path
ZZS

«Wir leben eine offene Fehlerkultur», höre ich oft von FirmeninhaberInnen. «Bei uns darf man aus Fehlern lernen.» Wirklich? Wie sieht das konkret in Ihrer Praxis aus? Leben Sie selbst als Chef oder Chefin eine offene Fehlerkultur vor, oder versuchen Sie stets, alles richtig und perfekt zu machen? Und falls Ihnen doch mal ein Fehler passiert: Korrigieren Sie ihn möglichst schnell, bevor es jemand bemerkt, damit ja niemand sieht, dass auch Sie fehlbar sind?
Fehlerkultur beginnt ganz oben. Nur wenn die Führungskraft offen über ihre eigenen Fehler spricht, diese thematisiert und reflektiert, können die Mitarbeitenden dem Beispiel folgen. Erst dann entsteht eine Atmosphäre, in der wirklich offen mit Fehlern umgegangen werden kann.
Was passiert jedoch, wenn diese Offenheit fehlt? Ich erinnere mich an Frau Giacometti, eine Praxismanagerin, die mich für ein Coaching kontaktierte. Sie bat um einen Termin, allerdings nur über ihre private E-Mail-Adresse. Sie wollte um jeden Preis vermeiden, dass ihre Chefin davon erfuhr. Ihre Chefin war Perfektionistin und duldete keine Fehler, das setzte Frau Giacometti unter Druck.

Coaching als Schwäche?

Für ihre Arbeitgeberin war Coaching kein Zeichen von Mitarbeiterentwicklung, sondern eine Schwäche. Frau Giacometti hatte Angst, sich als «hilfebedürftig» zu outen. Sie wollte nicht, dass ihre Qualifikation oder ihr Leistungsvermögen infrage gestellt werden. Das Coaching könnte ihrer Reputation schaden. Schliesslich sollte sie doch ohne Hilfe in der Lage sein, ihren Job perfekt zu machen. Doch das war sie nicht. Sie war erleichtert, als sie im Coaching Unterstützung fand, die letztlich auch ihre Chefin zufrieden stellte.
Sich heimlich Hilfe zu holen ist fern von Fehlerkultur. Das ist Angstkultur: Angst vor Versagen, Angst vor Offenheit, Angst vor Fehlern. Fehler werden oft destruktiv behandelt. Rügen und Blossstellen verhindern Offenheit. Ein paar Beispiele gefällig? Als Anita einen Patiententermin falsch eintrug, wurde sie in Anwesenheit ihrer Kolleginnen gerügt. Sanja wurde blossgestellt, weil sie das falsche Besteck vorbereitet hatte. Kay wurde für eine falsch ausgestellte Rechnung unfreundlich zurechtgewiesen. Sie fragen sich jetzt vielleicht: Soll man solche groben Fehler nicht ansprechen dürfen?

Die WWW-Methode

Selbstverständlich ist es wichtig, auf Fehler hinzuweisen. Doch die Frage ist, wie das geschieht. Eine konstruktive Vorgehensweise ist entscheidend. Versuchen Sie es mit der dreistufigen WWW-Methode: Wahrnehmung: Beschreiben Sie neutral, was Sie beobachtet haben, ohne zu bewerten. Zum Beispiel: «Ich habe gesehen, dass der Termin von Frau Müller in der Agenda auf Dienstag statt auf Mittwoch eingetragen wurde.» Wirkung: Erklären Sie, welche Auswirkungen das für Sie oder andere hat. Zum Beispiel: «Das vermittelt mir den Eindruck, dass ich mich nicht auf dich verlassen kann, und es bringt die Praxisorganisation durcheinander.» Wunsch: Formulieren Sie einen konkreten Verbesserungsvorschlag: «Ich wünsche mir, dass du in Zukunft den Termin zweimal überprüfst, um sicherzustellen, dass er richtig eingetragen ist.» Die WWW-Methode hilft, Rückmeldungen respektvoll, lösungsorientiert und nachvollziehbar zu gestalten.
Fehler gibt es überall. Fehlerkult zum Glück nicht. Entscheidend ist, wie man mit Fehlern umgeht: Konstruktiv statt destruktiv, wertschätzend statt abwertend, diskret statt blossstellend, offen statt heimlich. Fehler sollten als Lernschleifen und -chancen verstanden werden. Eine gute Fehlerkultur basiert auf Vertrauen, Lernbereitschaft, konstruktivem Feedback, Verantwortungsbewusstsein und kontinuierlicher Verbesserung. Sie wird durch offene Kommunikation getragen. Das stärkt die Innovationskraft und erhöht die Motivation der Mitarbeitenden. Also: Freuen Sie sich das nächste Mal über Ihren Fehler. Und sprechen Sie darüber. Denn im Mut zur Fehlbarkeit liegt der Schlüssel zu besserer Zusammenarbeit und echtem Fortschritt.

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Barbara Brezovar Capobianco
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