Das Positionspapier zur interprofessionellen Parodontalbetreuung
Im Juni 2023 wurde von der SSP ein Positionspapier veröffentlicht, das die interprofessionelle Parodontalbetreuung in Schweizer Zahnarztpraxen genauer beschreibt und diskutiert. Der Hauptautor und Präsident der SSP Prof. Dr. Christoph Ramseier hat damit die interprofessionellen Aufgaben der verschiedenen Berufsbilder bei der parodontalen Betreuung genauer definiert. Wir haben gezielter nachgefragt.
Welche Situation in der Praxis hat Sie dazu veranlasst, solch ein Positionspapier zu verfassen?
Ramseier: In der Schweiz sind die Aus- und Weiterbildungen aller zahnmedizinischen Berufe einzeln geregelt, die interprofessionelle Zusammenarbeit ist in den verschiedenen Ausbildungsanforderungen nicht berücksichtigt. Zudem besteht heute im Bereich der zahnmedizinischen Prävention ein Fachkräftemangel, der dazu führt, dass in vielen Zahnarztpraxen die Präventionsleistungen nicht optimal auf die verschiedenen Berufe verteilt werden können. Diese Unklarheiten und die sich daraus ergebenden Konsequenzen haben die Schweizerische Gesellschaft für Parodontologie veranlasst, ein Positionspapier zu verfassen mit dem Ziel, allen Schweizer Zahnarztpraxen Konzepte aufzuzeigen, wie sie die parodontale Betreuung ihrer PatientInnen im Praxisteam optimal organisieren und dabei die Kompetenzen aller zahnmedizinischen Berufsgruppen bestmöglich berücksichtigen können.
Gibt es denn in der Schweiz tatsächlich zu wenig gut ausgebildete DHs und PAs?
Ramseier: Dies ist der Fall. Ein wesentlicher Grund für den aktuellen Fachkräftemangel ist, dass sich die Zahnmedizin in den letzten Jahren – ähnlich wie die Humanmedizin – stärker in Richtung Prävention ausgerichtet hat. Die Zahnarztpraxen spüren den Fachkräftemangel heute deutlicher, weil sie ihren PatientInnen zunehmend nicht mehr die Recall-Intervalle anbieten können, die zur Stabilisierung der parodontalen Situation notwendig sind. Zudem gibt es in der Schweiz nach wie vor Zahnarztpraxen, die aufgrund des Fachkräftemangels keine Dentalhygienikerin HF oder Prophylaxe-Assistentin SSO anstellen können. In Zukunft werden neue Bildungsanbieter für Dentalhygiene und insbesondere neue PA-Schulen entstehen, die diesem Mangel entgegenwirken werden.
Was kann getan werden, um die Versorgung von Parodontitis-Patienten auf ein sicheres Fundament zu stellen?
Ramseier: Zum einen sind es die soliden Aus- und Weiterbildungen aller zahnmedizinischen Berufe, die in ihrer Gesamtheit die SSO-Qualitätssicherung im Fachgebiet Parodontologie umsetzen können. Zweitens ist es die interprofessionelle Parodontalbetreuung, wie sie im Positionspapier ausführlich beschrieben ist, und drittens ist es die regelmässige und nachhaltige Sensibilisierung der gesamten Bevölkerung für die Notwendigkeit der parodontalen Betreuung in der Zahnarztpraxis.
Was durfte eine Prophylaxe-Assistentin SSO (PA) bisher und was ist neu?
Ramseier: Die Prophylaxe-Assistentin SSO (PA) konnte vor der Aktualisierung des Weiterbildungsreglements keine erhöhten parodontalen Sondierungstiefen feststellen. Neu kann und muss sie der Dentalhygienikerin HF oder dem Zahnarzt/der Zahnärztin mitteilen, dass sie eine erhöhte Sondierungstiefe festgestellt hat. Bei der Befundaufnahme mit dem Gingival-Index nach Ainamo & Bay (1975) misst die PA keine Sondierungstiefen, sondern hält mit der Parodontalsonde alle Stellen mit einer Eindringtiefe von mehr als 3 mm dichotom fest. Ausserdem kann sie neue pathologische Veränderungen um orale Implantate erkennen. Sie erkennt die Rötung und Schwellung der periimplantären Mukosa und beim Ausstreichen mit der Parodontalsonde erkennt sie den Austritt von Eiter aus dem periimplantären Sulkus. Sie erkennt auch eine paramarginale Fistel um das orale Implantat und registriert eine eventuelle Beweglichkeit der Rekonstruktionen oder Fixaturen. Zusätzlich kann die PA nach Absolvierung der entsprechenden Fort- oder Weiterbildung gemäss bestehendem Reglement neu auch Pulver-Wasserstrahl-Geräte supragingival einsetzen.
Wie kann die Implementierung der interprofessionellen Parodontalbetreuung im Alltag aussehen?
Ramseier: Diese Implementierung kann unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Fallverantwortung betrachtet werden. Die Zahnärzte innerhalb des zahnmedizinischen Praxisteams übernehmen die Fallverantwortung für die von ihnen übernommenen Betreuungen. Die Fallverantwortung umfasst dabei alle Arbeiten, die von der PA oder DH unter Berücksichtigung ihrer individuellen Berufserfahrung durchgeführt werden und erstreckt sich somit nicht nur auf die in der Grundausbildung vermittelten Kompetenzen. Darüber hinaus kann die Durchführung unter dem Aspekt der Aufgabenverteilung betrachtet werden. Diesbezüglich kann auf die Tabelle links aus dem Positionspapier verwiesen werden, in der alle zahnmedizinischen Berufe und alle Aufgaben einer parodontalen Betreuung aufgeteilt und aufeinander abgestimmt sind.
Wie lässt sich das in der Praxis am besten umsetzen?
Ramseier: Die Umsetzung der interprofessionellen Zusammenarbeit in der Parodontalbetreuung setzt die Kenntnis der Kompetenzen aller zahnmedizinischen Berufsgruppen voraus. Durch die Zuweisung der Patienten an die am besten geeigneten Berufspersonen innerhalb des Praxisteams können Behandlungszeiten verkürzt und Fehlbehandlungen vermieden werden. Eine Unité de Doctrine im Praxisteam ermöglicht zudem die koordinierte Umsetzung der interprofessionellen Parodontalbetreuung im Team. Regelmässige Teambesprechungen ermöglichen es darüber hinaus, die interprofessionellen Abläufe im Praxisalltag laufend zu vereinheitlichen, zu optimieren und gegebenenfalls zu vereinfachen.
Das Positionspapier wurde vor neun Monaten veröffentlicht. Was hat sich bis heute geändert?
Ramseier: Seit der Veröffentlichung hat sich die Wahrnehmung und Akzeptanz der interprofessionellen Parodontalbetreuung innerhalb der zahnmedizinischen Berufe in der Schweiz verbessert. Die breite Berichterstattung in der Presse und den verschiedenen Fachzeitschriften sowie die Verfügbarkeit des Positionspapiers zum Download auf deren Websites haben zu einer erhöhten Aufmerksamkeit geführt. Die Präsentation des Positionspapiers an gut besuchten Fortbildungsveranstaltungen hat das Bewusstsein und das Verständnis für die Notwendigkeit der interprofessionellen Zusammenarbeit zusätzlich gestärkt. Obwohl bisher keine systematischen Erhebungen durchgeführt wurden, um die direkten Auswirkungen auf die tägliche Praxis zu messen, deuten die anhaltenden Diskussionen und das gestiegene Interesse darauf hin, dass das Positionspapier als wichtiger Schritt zur Verbesserung der parodontalen Versorgung in der Schweiz angesehen wird. Die Sensibilisierungs- und Fortbildungsinitiativen, die jetzt durch das Positionspapier angeregt wurden, sind ein positives Zeichen dafür, dass alle zahnmedizinischen Berufe bestrebt sind, die Konzepte und Empfehlungen in die Praxis umzusetzen. Es ist jedoch klar, dass die Umsetzung Zeit braucht und eine fundierte Bewertung der Veränderungen erst in den nächsten Jahren möglich sein wird.
Welche Auswirkungen erwarten Sie durch das Positionspapier in Zukunft in der täglichen Praxis?
Ramseier: Die Erwartungen an das Positionspapier für die zukünftige tägliche Praxis sind hoch. Durch die klare Definition der interprofessionellen Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die Förderung einer engeren Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen zahnmedizinischen Berufen erhoffen sich alle Beteiligten eine deutliche Verbesserung der Früherkennung und Betreuung von Parodontitispatienten. Das Positionspapier legt den Grundstein für eine verbesserte Patientenversorgung durch strukturierte Leitlinien, die darauf abzielen, die spezifischen aktuellen Kompetenzen jedes Berufsbildes innerhalb der zahnmedizinischen Praxis optimal zu nutzen. Es wird erwartet, dass dieser strukturierte Ansatz nicht nur die Früherkennung von Parodontitis verbessert, sondern auch eine umfassendere und qualitativ hochwertigere Versorgung der Patienten ermöglicht. Dies soll letztendlich zu einer besseren Stabilisierung des Zustandes von Parodontitispatienten führen. Langfristig könnte das Positionspapier somit einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der Prävalenz und des Schweregrades von Parodontalerkrankungen in der Schweizer Bevölkerung leisten, indem die Präventionskultur gestärkt und die Zusammenarbeit innerhalb des zahnmedizinischen Teams optimiert wird.
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