22. Juni 2022

Medizinprodukteregulierung im Drittland Schweiz – Teil 1

ZZS: Melde- und Registrierungspflichten, die Pflicht des Herstellers zur Benennung eines Schweizer Bevollmächtigten und die Angabe des schweizerischen Importeurs zu jedem Produkt sind Themen, die seit dem 26. Mai 2021 zur Pflicht geworden sind. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation am Markt ein?
Dr. Delfosse: Der 26. Mai 2021 war ein wichtiges Datum für die Medizintechnikbranche: Die neue europäische Medizinprodukteverordnung (MDR) löste die alte Medizinprodukterichtlinie (MDD) ab. Der Schweizer Bundesrat brach (zufälligerweise am gleichen Tag) die Verhandlungen mit der Europäischen Union über das Institutionelle Abkommen (InstA) ab, so dass eine Anpassung des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung (Mutual recognition agreement, MRA) für den freien bilateralen Handel mit Medizinprodukten verunmöglicht wurde. Als Folge davon wurde die Schweiz für die Medizintechnik auf den Status eines Drittstaates zur EU zurückgestuft. Damit wurden sowohl für den Import wie auch den Export von Medizinprodukten hohe Hürden gestellt. Aber trotz dieser neuen Hürden muss und wird der Handel zwischen der Schweiz und der EU weitergehen.
RA Matthias Stauffacher: Die neue Regulierung umfasst sämtliche Medizinprodukte. Dabei handelt es sich um ein sehr breites Spektrum von Produkten, zu welchen nicht nur Brustimplantate oder Prothesen gehören, sondern auch Druckverbände, Gehhilfen, Zahnspangen oder Brillengestelle. Obwohl das Risikopotential von Medizinprodukten ganz unterschiedlich ist, gelten für die Einfuhr und den Handel weitgehend dieselben Pflichten. So müssen beispielsweise auch ausländische Hersteller von Brillengestellen oder Zahnspangen einen Bevollmächtigten ernennen, wenn sie die Produkte in der Schweiz vermarkten möchten. Auf der anderen Seite gibt es Händler von Medizinprodukten in der Schweiz, die ein breites Sortiment von Produkten anbieten. Diese müssen nun bei sämtlichen Produkten kontrollieren, ob ein Bevollmächtigter ernannt wurde und die Produkte mit dessen Namen und Anschrift gekennzeichnet ist. Kurz: die neue Regulierung stellt insbesondere Händler und Importeure vor grosse Herausforderung. Unterlassen sie die gebotenen Kontrollen, machen sie sich allenfalls strafbar.
Swissmedic: Mehr als 2000 Akteure haben sich bereits registriert, darunter Importeure und Bevollmächtigte, die ausländische Hersteller vertreten bzw. diese gemeldet haben. Wir publizieren diese Liste der Akteure auf unserer Website. Die Liste wird regelmässig aktualisiert. Die Übergangsfristen für Medizinprodukte der Risikoklassen III, IIb, IIa sind bereits abgelaufen. Für die Klasse I Produkte, die den grössten Teil ausmachen, gibt es eine Frist bis Ende Juli 2022. Aufgrund der Nichtaktualisierung des MRA erhielten wir rund 3500 Anfragen. Viele davon bezogen sich auf das Inverkehrbringen und die Bereitstellung auf dem Markt.

ZZS: Waren die Schweizer Importeure auf die Situation ausreichend vorbereitet?
Dr. Delfosse: Nein, das war auch nicht möglich, weil die MepV erst am 19.05.2021, also sieben Tage vor Inkrafttreten, publiziert wurde. Und noch weniger gut waren die ausländischen Hersteller vorbereitet, die erst später durch die Schweizer Händler informiert wurden.
RA Dr. Christoph Willi: Viele wurden vom Abbruch der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU auf dem falschen Fuss erwischt. Doch was ist geschehen? Am 26. Mai 2021 hat der Bundesrat die Verhandlungen über den Rahmenvertrag mit der EU abgebrochen. Als Folge des Verhandlungsabbruches hat die EU-Kommission erklärt, dass die Schweiz nicht mehr länger als gleichberechtigter Partner am europäischen Binnenmarkt für Medizinprodukte teilnehmen könne. Dies hat dazu geführt, dass die Schweiz gegenüber der EU nun als Drittland gilt (ähnlich wie die USA oder China). Damit wurden aber auch die Importe aus der EU in die Schweiz erschwert. Neu dürfen Medizinprodukte aus der EU nur noch importiert werden, wenn der Hersteller einen Bevollmächtigten in der Schweiz ernannt hat und weitere regulatorische Anforderungen erfüllt werden. Dieser administrative Mehraufwand lässt Befürchtungen entstehen, dass viele Produkte in der Schweiz nicht mehr erhältlich sein werden.


Dr. Daniel Delfosse, Leiter Regulation & Innovation bei Swiss Medtech. Foto: ZVg

ZZS: Wie hat sich die Situation im Laufe des Jahres entwickelt?
Swissmedic: Wegen noch laufender Übergangsfristen ist eine Beurteilung aus Sicht Vollzug nicht möglich. Aufgrund der vielen Anfragen vermuten wir, dass noch viele Fragen offen waren. Der BR-Entscheid, die InstA-Verhandlungen abzubrechen, kam für Akteure und Swissmedic kurzfristig. Bis zum BR-Entscheid über ergänzende Massnahmen am 19. Mai 2021 (eine Woche vor Inkrafttreten der neuen Regulierung) konnten die Rechtstexte nicht veröffentlicht und damit die Akteure nicht vorzeitig informiert werden. Swissmedic hat per 26. Mai 2021 alle unmittelbar benötigten Informationen zur Verfügung gestellt. Anschliessend haben wir laufend ergänzende Wegleitungen und FAQ publiziert. Am 2. September 2021 führten wir online eine Infoveranstaltung mit mehr als 1600 Teilnehmenden durch. Der nächste Anlass findet am 3. November 2022 statt und ist der neuen Regulierung für In-vitro-Diagnostika gewidmet.
Dr. Delfosse: Swiss Medtech hat als Verband alle Hebel in Bewegung gesetzt, um alle Wirtschaftsakteure umgehend über die neuen, erhöhten Anforderungen für den Import von Medizinprodukten zu informieren. Dazu haben wir 20 spezifische Webinare zum Thema «Schweiz als Drittstaat» organisiert, womit wir über 2000 Personen informieren konnten. Durch Auftritte bei 50 externen Veranstaltungen wurden weitere 3000 Personen erreicht. Und zusätzlich hat der Verband über 1000 Fragen der Mitglieder zum Thema schriftlich beantwortet. Heute sollte also jeder Schweizer Wirtschaftsakteur im Bilde sein.
RA Matthias Stauffacher: Viele Markteilnehmende haben begonnen, sich mit den neuen Pflichten auseinanderzusetzen. Es bestehen aber grosse Unterschiede: Hersteller von komplexen Medizinprodukten konnten sich besser den neuen Regelungen anpassen. Anders beispielsweise die Hersteller von alltäglichen Medizinprodukten. Nehmen wir das Beispiel von Zahnspangen, die in Zahntechnischen Laboren hergestellt werden. Vor grossen Herausforderungen stehen auch Händler, die nun bei sämtlichen von ihnen vertriebenen Produkten klären müssen, ob diese die gesetzlichen Anforderungen für den Vertrieb in der Schweiz weiterhin erfüllen.


Rechtsanwalt Matthias Stauffacher.   Foto: Streichenberg und Partner
 

ZZS: Welche Übergangsfristen laufen wann aus?
Dr. Delfosse: Die Übergangsfrist zur Benennung eines Schweizer Bevollmächtigten (CH-REP) für implantierbare Produkte und Produkte der Klasse III ist am 31.12.2021 abgelaufen, die für Klasse IIa und IIb (nicht implantierbare Produkte) am 31.03.2022. Am 31.07.2022 läuft die Frist auch für Klasse I ab. Und im nächsten Jahr wiederholt sich dasselbe Szenario für die In-vitro Diagnostik-Produkte.
RA Dr. Christoph Willi: Ausländische Medizinprodukte dürfen in der Schweiz nur noch vertrieben werden, wenn ein Bevollmächtigter vorhanden ist und die Produkte bzw. Verpackung oder Begleitpapiere mit dessen Namen und Anschrift gekennzeichnet sind. Für die Erfüllung dieser Pflichten bestehen unterschiedliche Fristen, abgestuft nach Risikopotential, wie es Herr Delfosse schon ausgeführt hat. Für Zahnärzte aber auch für Zahnlabore sowie Lieferanten von weiterem Bedarf für Zahnarztpraxen dürfte vor allem die Frist vom 31. Juli 2022 relevant sein. Denn ab dann muss für sämtliche Medizinprodukte, welche in die Schweiz importiert werden, ein Bevollmächtigter in der Schweiz benannt werden.

ZZS: Was denken Sie, ist es den Herstellern in der EU, USA etc. bewusst, welche Konsequenzen die MepV auch für deren Schweizer Geschäft hat?
Swissmedic: Vielen Akteuren ist das bewusst. Sowohl grosse internationale Verbände als auch Wirtschaftskammern sind mit uns diesbezüglich in Kontakt getreten. Für den Import in die Schweiz hat Swissmedic mit mehreren ausländischen Handelskammern gesprochen und Referate gehalten, damit diese die neuen Bestimmungen für den Export in die Schweiz kennen. Auch die Medtech Verbände haben wichtige Aufklärungsarbeit geleistet.
Dr. Delfosse: Ja, inzwischen ist das bei den rund 5000 ausländischen Herstellern, die die Schweiz beliefern, angekommen. Und ein Grossteil davon – aber sicherlich nicht alle – wird uns auch weiterhin beliefern.
RA Matthias Stauffacher: Das sehen wir etwas anders. Gerade viele Unternehmen aus den USA oder aus Asien können die hohen administrativen Hürden, welche die MepV für den Schweizer Markt gebracht hat, nicht nachvollziehen. Da die Schweiz die Regelung der EU vollständig übernommen hat, sind die Hürden für den Import in die EU und in die Schweiz dieselben. Das bedeutet, dass auch in etwa die gleichen Kosten für die Ernennung eines Bevollmächtigten oder die Verhandlung von entsprechenden Verträgen entstehen. Der grosse Unterschied besteht aber darin, dass in der EU ein Markt von 450 Millionen, in der Schweiz von 8.8 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten besteht. Viele aussereuropäische Unternehmen überlegen sich deshalb, ob sie ihre Produkte auf den Schweizer Markt bringen wollen.


Rechtsanwalt Dr. Christoph Willi LL.M. 
Foto: Streichenberg und Partner

 

ZZS: Stichwort Konformitätserklärung. Wofür wird diese benötigt und wer darf sie ausstellen?
RA Dr. Christoph Willi: Mit der Konformitätserklärung bringt der Hersteller zum Ausdruck, dass das Produkt die gesetzlichen Anforderungen erfüllt, das Produkt also «konform» ist. Ob die Anforderungen erfüllt sind, hat der Hersteller in einem Konformitätsbewertungsverfahren zu prüfen. Die Konformitätserklärung ist für die Kunden des Herstellers wichtig. Sie dürfen darauf vertrauen, dass die gesetzlichen Anforderungen eingehalten sind. Dies gilt natürlich nur, insoweit als die Konformitätserklärung authentisch und nicht gefälscht ist.
Bei Produkten der Klasse II oder höher, muss das Konformitätsbewertungsverfahren zudem durch eine benannte Stelle geprüft werden. In der Schweiz kann dies durch die Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS) erfolgen. Die Schweiz anerkennt zudem auch weiterhin die europäischen benannten Stellen, so das Schweizer Hersteller sich für eine Prüfung auch an eine europäische Stelle wenden können.
Swissmedic: Der Hersteller erstellt eine Konformitätserklärung, wenn bei den anzuwendenden Konformitätsbewertungsverfahren nachgewiesen wurde, dass die Anforderungen erfüllt sind. Mit der Konformitätserklärung übernimmt der Hersteller die Verantwortung, dass das Produkt den Anforderungen der Verordnung und den geltenden Rechtsvorschriften entspricht. Wir verweisen diesbezüglich auf die Medizinprodukteverordnung (MepV) und die IvDV.

ZZS: Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich, wenn ohne einen vom Hersteller benannten Schweizer Bevollmächtigten Medizin-Produkte in die Schweiz eingeführt werden?
RA Matthias Stauffacher: Wenn ein ausländischer Hersteller keinen Bevollmächtigten für seine Produkte in der Schweiz ernannt hat, dann dürfen diese Produkte in der Schweiz nicht verkauft werden. Wer Medizinprodukte aus dem Ausland in die Schweiz importiert oder damit Handel treibt, hat zu prüfen, ob ein Bevollmächtigter vorhanden ist. Verkaufen sie ein Produkt, ohne dass ein Bevollmächtigter vorhanden ist, können sie sich strafbar machen. Auch die Anwender von Medizinprodukten unterliegen entsprechenden Pflichten, namentlich auch Zahnärzte oder die Betreiber von Zahnlaboren. Als Konsequenz vom Verkauf oder der Anwendung von nicht-gesetzmässigen Medizinprodukten kann eine Gefängnis- oder Geldstrafe drohen. Praktisch bedeutsamer als die eigentlichen Sanktionen ist aber zumeist der Aufwand an Zeit und Geld, um sich in einem Verfahren zu verteidigen. Auch der Reputationsschaden ist zu bedenken.
Swissmedic: Wer Medizinprodukte importiert, muss die Anforderungen gemäss Art. 53 der MepV erfüllen. Rechtliche Konsequenzen können nicht pauschal benannt werden. Bei einer Verdachtsmeldung werden mit einem Verwaltungsmassnahmenverfahren notwendige Massnahmen definiert.  Diese können auch ein Vertriebsverbot oder einen Marktrückruf umfassen. Swissmedic weist insbesondere Fachpersonen und Gesundheitseinrichtungen, die Produkte ohne CH-Bevollmächtigten aus dem Ausland einführen und direkt anwenden, darauf hin, dass diese Produkte allenfalls von der haftungsrechtlichen Bestimmung gemäss Art. 47d HMG nicht abgedeckt sind und kein CH-Wirtschaftsakteur zuständig ist für formelle und sicherheitsrelevante Belange.

ZZS: Welche medizinischen Konsequenzen können bei solchen «illegalen» Importen kurz- und langfristig drohen?
Swissmedic: Auch diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden, sie muss fallbezogen geprüft werden. Jede Person, die mit Medizinprodukten umgeht, ist der Sorgfaltspflicht unterstellt und muss dabei alle Massnahmen treffen, die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich sind, damit die Gesundheit nicht gefährdet wird. Der Importeur hat wichtige Pflichten nach Art. 53 MepV (z. B. Konformität und Meldepflichten) zu erfüllen. Falls der Zahnarzt ein Produkt aus dem Ausland (ohne es in Verkehr zu bringen) direkt anwendet, übernimmt er für die Konformität des Produkts die Verantwortung (Art. 70, Abs. 1 MepV). Fachpersonen und Gesundheitseinrichtungen sollten in der Regel Produkte eines Schweizer Herstellers oder mit einem entsprechend verantwortlichen Schweizer Bevollmächtigten beschaffen und nur in begründeten Ausnahmefällen Produkte ohne Schweizer Bevollmächtigten aus dem Ausland direkt anwenden.

ZZS: Welche Möglichkeiten haben Schweizer Bevollmächtigte sich vor der vollumfänglichen Haftung im Schadensfall abzusichern?
Dr. Delfosse: Die Schweizer Bevollmächtigten haften nicht vollumfänglich, sondern solidarisch mit dem (ausländischen) Hersteller. D. h. der Hersteller ist in jedem Fall für die Sicherheit des Produktes verantwortlich und wird auch für die Produktehaftpflicht aufkommen müssen. Der Bevollmächtigte käme nur dann zum Zug, wenn der Hersteller zahlungsunfähig ist (z. B. durch Aufgabe oder Konkurs der Firma).
Swissmedic: Der Schweizer Bevollmächtigte haftet gegenüber einer durch fehlerhafte Medizinprodukte geschädigten Person solidarisch mit dem Hersteller. Das Mandat wird zwischen Hersteller und Schweizer Bevollmächtigtem schriftlich vereinbart. Die bevollmächtigte Person muss über eine ausreichende finanzielle Deckung für Schäden verfügen (Art. 47d HMG). Wichtig ist auch, dass schwerwiegende Vorkommnisse Swissmedic gemeldet werden.
RA Matthias Stauffacher: Das ist die Gretchenfrage. Der Bevollmächtigte haftet gemäss Gesetz solidarisch mit dem Hersteller. Das bedeutet, dass der ausländische Hersteller zwar haftbar ist, in der Schweiz wohnende PatientInnen sich aber lieber an den Schweizer Bevollmächtigten halten werden, um Ansprüche geltend zu machen. Welcher Patient will schon gegen einen Hersteller im Ausland klagen? Es ist also der Bevollmächtigte, der primär verantwortlich gemacht wird. Dieses Haftungsrisiko kann der Bevollmächtigte vertraglich auf den Hersteller überbinden. Dazu wird im Vertrag zwischen dem Hersteller und dem Bevollmächtigten eine Regelung festgelegt, dass der Hersteller solche Haftungsrisiken übernehmen muss. Schwierig wird es, wenn der Hersteller im Ausland Konkurs anmeldet oder insolvent ist. Der Bevollmächtigte hat dann das Risiko, dass er auf den Kosten des Haftungsfalles sitzen bleibt. Wir raten Bevollmächtigten deshalb, diese Risiken zu versichern.

Wir danken allen Gesprächspartnern für die fundierten Auskünfte. Es gibt noch viel mehr zu besprechen. Eine Fortsetzung des Interviews folgt.

Kontakt:
Swissmedic
www.swissmedic.ch

Swiss Medtech
Dr. Daniel Delfosse
daniel.delfosse@swiss-medtech.ch

Streichenberg Rechtsanwälte
Dr. Christoph Willi LL.M.
christoph.willi@streichenberg.ch

Matthias Stauffacher
matthias.stauffacher@streichenberg.ch

Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews